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Month: Juli 2015
Helden mit Stärken und Schwächen - Juli 15, 2015 by Susanne Gavénis

INI_Logo_kleinGar nicht mal schlecht! Anfang der Woche habe ich mir den Pilotfilm der neuen Superhelden-Mutanten-Serie „Alphas“ auf Pro7MAXX angesehen und war positiv überrascht.

Zum einen ist es schön zu sehen, dass sich die Drehbuch-Schreiber ganz offensichtlich bemühen, die Mutantenkräfte der Hauptfiguren – im Gegensatz zu den wüsten Special-Effects-Orgien der X-Men – biologisch halbwegs plausibel zu gestalten. Inwieweit das etwa bei der Suggestorin gelungen ist, die anderen Menschen mit der Kraft ihres Geistes ihren Willen aufzwingen kann, oder auch bei dem Jungen, der elektromagnetische Wellen wahrnehmen kann, sei dahingestellt. Auf jeden Fall wirken die Fähigkeiten der Protagonisten insgesamt erfreulich bodenständig, zudem – was für mich als Autor noch wichtiger ist – haben die Macher der Serie einen außerordentlich bedeutsamen Aspekt beachtet, der eine Geschichte oft ruiniert, wenn man ihm keine Aufmerksamkeit schenkt.

Alle Mutanten haben aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten eine Schwäche, die sie trotz ihrer überlegenen Kräfte angreifbar und verletzlich macht – der Wellenseher ist ein halber Autist mit eingeschränkter sozialer Kompetenz, der Hulk-Verschnitt, der seine Stresshormone willentlich in die Höhe schießen lassen kann, um dadurch seine Körperkraft zu steigern, läuft Gefahr, neurophysiologisch zu kollabieren, die Synästhetikerin, deren sämtliche Sinneswahrnehmungen extrem verfeinert sind, versinkt völlig in diesem Ozean aus Reizen und nimmt Gefahren in ihrer Außenwelt nicht mehr wahr.

Dieses Prinzip, überlegene Fähigkeiten mit ebenso großen Schwächen zu verbinden, ist der Dreh- und Angelpunkt für jede spannende Geschichte, und sowohl bei „Shaans Bürde“ als auch beim „Gambler-Zyklus“ habe ich eine Menge Zeit darauf verwandt, meine Protagonisten in dieser Hinsicht verletzlich zu machen. Gerade bei Danny, der Hauptfigur aus dem Gambler-Zyklus, war es extrem wichtig, dass ihn seine Mutantenkräfte nicht in einen unmenschlichen Superhelden verwandeln, der jedes Problem, das sich ihm stellt, mit einem gelangweilten Gähnen aus der Welt schafft. Die Demontage seiner überlegenen Fähigkeiten im Lauf der Handlung nimmt deshalb viel Raum im Rahmen der Geschichte ein. Wer den guten Danny und den Gambler-Zyklus noch nicht kennt, kann gern in die Leseprobe zum Gambler-Zyklus hineinschauen.

Psychologie der Romanfiguren - Juli 4, 2015 by Susanne Gavénis

Die drei Artikel zur Psychologie der Romanfiguren finden sich in erweiterter Form in meinem Schreibratgeber:

„Wirkungsorientiertes Schreiben“

 

Jeder Autor – egal wie gut er sein Schreibhandwerk auch beherrschen mag – muss vor allem eines sein: ein guter Psychologe. Hat er kein Gespür dafür, was die Menschen antreibt, welche Macht ihre Ängste und Überzeugungen über ihr Fühlen, Denken und Handeln haben, warum sie sich manchmal auf eine schon fast absurde Weise irrational verhalten und diese Irrationalität im Koordinatensystem ihrer Persönlichkeit dennoch zugleich absolut folgerichtig und sinnhaft sein kann, dann wird er niemals eine gute Geschichte schreiben können, denn die eigentliche Grundlage jeder Geschichte sind ihre Figuren. Viele Bücher über das Schreiben, die sich mit der Wahl einer funktionierenden Prämisse, einem spannenden und konflikthaften Handlungsaufbau und anderen Dingen beschäftigen, sind letztlich nichts anderes als psychologische Ratgeber, um fiktive Menschen im Rahmen einer erfundenen Geschichte in der Phantasie der Leser glaubhaft zum Leben erwachen zu lassen.

An dieser Stelle möchte ich mich mit psychologischen Themen befassen, von denen ich ebenfalls denke, dass sie für die Konzeption glaubwürdiger Figuren und ihre Darstellung in so zentralen Bereichen wie Dialogen, der Gestaltung von Szenen u.a. von Bedeutung sind. Auch wenn bereits so viel – und so viel Gutes – über die Konzeption von Romanfiguren geschrieben worden ist, dass man kaum noch etwas wirklich Neues hinzufügen kann, hoffe ich, dass meine Gedanken dennoch für den einen oder anderen beim Schreiben seiner eigenen Geschichten hilfreich sind.

Warum man nicht nicht kommunizieren kann - Juli 4, 2015 by Susanne Gavénis

Die große Frage, was eine gelingende von einer gescheiterten oder gestörten Kommunikation unterscheidet, ist auch unmittelbar für jeden Autor relevant, der seine Geschichten nicht nur mit hübschen Landschaftsbeschreibungen schmücken will. Wie kann es passieren, dass ein Gespräch, bei dem vielleicht jeder der Beteiligten die allerbesten Absichten hat, manchmal binnen Sekunden komplett aus dem Ruder läuft und aufs Heftigste eskaliert, und wie kann man diese Erkenntnisse für seine eigenen Romanfiguren nutzen? Dieses Problem ist komplex und vielschichtig, und ich werde mich ihm aus unterschiedlichen Richtungen zu nähern versuchen.

Was man sich oft weder als Autor beim Schreiben seiner Szenen noch als realer Mensch im Umgang mit anderen realen Menschen klar macht, ist die fundamentale Tatsache, dass eine Kommunikation (also ein Dialog im weitesten Sinne) letztlich bereits beginnt, sobald eine Person einen Raum betritt, in dem sie nicht allein ist, bzw. in einer Szene zusammen mit einer oder mehreren anderen Personen auftaucht. Allein ihre körperliche Anwesenheit setzt diese Kommunikation bereits in Gang, da ihr Körper – ob sie das nun will oder nicht – eine riesige Leinwand ist, auf der ihre Persönlichkeit, ihre gegenwärtigen Wünsche und Absichten, ihre Bedürfnisse und Ängste sichtbar werden, ohne dass auch nur ein einziges gesprochenes Wort fallen müsste. Da die Sprache des Körpers viel unbewusster ist und in der menschlichen Entwicklung der Fähigkeit zum verbalen Kommunizieren deutlich vorausgeht, ist sie von zentraler Bedeutung in jeder Szene, in der zwei oder mehr Figuren miteinander interagieren, und jeder Autor sollte der Körpersprache in seinen Geschichten mindestens ebenso viel Beachtung schenken wie dem verbal geäußerten Wort.

Diese weitgehende Unbewusstheit des eigenen körpersprachlichen Ausdrucks führt dazu, dass Menschen in Situationen, in denen sich die Körpersprache und das gesprochene Wort eines Gegenübers widersprechen, ganz instinktiv und automatisch der Körpersprache das Vertrauen schenken (was einer der Gründe ist, warum viele Trickbetrüger, die gelernt haben, ihre Körpersprache bewusst und gezielt für ihre Zwecke einzusetzen, so erfolgreich sind). Wenn ein Mensch beispielsweise weint, seine Traurigkeit aber nicht zugeben will und auf eine besorgte Nachfrage stattdessen beteuert: „Mach dir keine Gedanken, mir geht’s gut!“, wird diese verbale Versicherung die Besorgnis seines Gesprächspartners vermutlich nicht zerstreuen können, da er der Wahrheit des Körpers wahrscheinlich den Vorzug vor der Wahrheit des gesprochenen Wortes geben wird. Oder wenn ein Mensch einen anderen umarmt, dieser jedoch dabei ganz starr wird und sich verkrampft, hinterher aber energisch behauptet: „Ich liebe dich!“, wird diese Liebesbekundung wohl eher wenig Begeisterung auslösen.

Dieser Kontrast zwischen Körpersprache und verbaler Sprache bietet für das Schreiben von Geschichten und die Gestaltung von Dialogen viele Möglichkeiten, die man nutzen kann, um Dialoge intensiver und konflikthafter zu machen. Zum einen kann man die Körpersprache dazu benutzen, um verbale Äußerungen seiner Figuren zu unterstreichen und sie gewissermaßen mit starken Gefühlen aufzuladen, etwa wenn eine Figur bei ihren Worten ihre Fäuste so fest ballt, dass ihre Fingernägel ihr tief in die Handballen dringen, die Stirn runzelt oder ihre Augen verengt, die Zähne fletscht, sie kampflustig das Kinn nach vorne reckt, ihre Lippen beben, sich ihre Schultern verkrampfen, ihr Gesicht maskenhaft starr wird, etc.. In solchen Fällen entsprechen sich die Körpersprache und das gesprochene Wort einer Figur, was diese Dialogstellen intensiviert und sowohl für den fiktiven Gesprächspartner als auch für den Leser in ihrer Wirkung verstärkt.

Eine andere Art von Intensivierung des Dialogs kann man erzeugen, wenn die Körpersprache und das gesprochene Wort in Widerspruch zueinander stehen, da dies unmittelbar zu einem Konflikt hinführt und Fragen für den Leser aufwirft. Warum gibt es diesen Widerspruch, was geht in diesem Moment in der betreffenden Figur vor, wie reagiert ihr Gegenüber darauf, macht er ihn offen zum Thema oder ignoriert er ihn, und was bedeutet dies wiederum für die Figur, die ursprünglich widersprüchlich kommuniziert hat? Sofort bietet sich ein vielfältiges Feld von Möglichkeiten, wie sich der Dialog anhand dieses ins Spiel gebrachten Widerspruchs konflikthaft weiterentwickeln kann, zumal dabei ja auch stets eine Widersprüchlichkeit und ein Konflikt in der Persönlichkeit der entsprechenden Figur existieren, die man als Autor nutzen kann. Jeder Mensch und jede Romanfigur, die widersprüchlich kommunizieren, werden auf alle Fälle gute Gründe dafür haben, und wenn man diese Figuren im Rahmen seiner Geschichte in Situationen hineinwirft, in denen diese Gründe zu inneren und äußeren Konflikten führen, wird der Leser davon gefesselt und will wissen, wie es mit diesen Konflikten weitergeht.

Die Körpersprache ist also für einen Autor ein hervorragendes Mittel, um durch ihren Widerspruch zum gesprochenen Wort Konflikte sichtbar zu machen, die im Inneren der Figuren existieren, und diese Konflikte zugleich in den Kontakt und die Kommunikation mit anderen Figuren hineinzutragen. Dabei gilt stets die alte Weisheit, dass man niemals nicht kommunizieren kann, da bereits Schweigen bestimmte Botschaften enthält, die andere Menschen oder Figuren wahrnehmen und mit ihrer eigenen Persönlichkeit und ihren eigenen inneren Konflikten beantworten werden, ob man das mit seinem Schweigen nun gewollt hat oder nicht. Gerade das aber macht sowohl den Umgang mit realen Menschen als auch mit Romanfiguren so interessant.

 

Aufgabe: Schreiben Sie einen konflikthaften Dialog, bei dem eine der Figuren auf eine widersprüchliche Weise kommuniziert und verbale und Körpersprache nicht übereinstimmen.

  1. Schreiben Sie diesen Dialog aus der Innenperspektive der Figur, die aufgrund ihres eigenen inneren Konflikts widersprüchlich kommuniziert, während man die Reaktionen ihres Dialogpartners nur von außen wahrnimmt.
  2. Schreiben Sie den gleichen Dialog aus der Innenperspektive des Dialogpartners der Figur, die widersprüchlich kommuniziert. Wie geht dieser Dialogpartner mit den widersprüchlichen Botschaften seines Gegenübers um, welche Gedanken und Gefühle lösen sie in ihm aus, wie färben sie seine Sicht auf die andere Figur?

Ziel: Ein Gefühl für die Wirkung von inneren Konflikten einer Figur zu bekommen, die sich durch widersprüchliche Botschaften im Verhalten dieser Figur zeigen, ist eine wichtige Aufgabe für jeden Autor. Diese Wirkung umfasst sowohl die Innenperspektive derjenigen Figur, die auf eine solche Weise von inneren Konflikten und widersprüchlichen Impulsen, Absichten und Wünschen gequält wird, als auch die Figuren, die in Dialogen oder Handlung mit widersprüchlich kommunizierenden Figuren zu tun haben. Diese Übung soll dabei helfen, das Verständnis für die Gefühle, Gedanken und Reaktionen beider Seiten eines derartigen Dialogs zu vertiefen.

 

Über die Leichtigkeit, aneinander vorbeizureden - Juli 3, 2015 by Susanne Gavénis

Jeder wird wahrscheinlich irgendwann einmal die Erfahrung gemacht haben, dass ein anderer Mensch ihn einfach nicht versteht, und dass es zu Streit und Konflikten kommt, obwohl man doch selbst die allerbesten Absichten hatte und sich keinerlei Schuld bewusst ist (was der Gesprächspartner natürlich völlig anders sieht). Die Frage, warum solche konflikthaften Situationen oft wie aus dem Nichts zu entstehen scheinen und manchmal innerhalb von Sekunden eine Schärfe und Dramatik annehmen können, mit der keiner der Beteiligten gerechnet hätte, habe ich in dem Artikel über Körpersprache und widersprüchliche Botschaften schon einmal kurz angerissen.

Sowohl bei dem körpersprachlichen Verhalten, das ein Mensch (oder eine Romanfigur) zeigt, als auch bei den einander widersprechenden Botschaften und Signalen, die er seinem Gesprächspartner senden kann, spielt die Deutung dieses Verhaltens und der Signale eine entscheidende Rolle. Was geht beispielsweise in einem Menschen vor, der auf eine Gesprächsäußerung von mir plötzlich seine Arme verschränkt, sich abrupt auf seinem Stuhl zurücklehnt und seine Lippen aufeinander presst? Habe ich ihn durch das, was ich gerade gesagt habe, verärgert, oder hat ihn lediglich sein Magengeschwür gezwickt, weil er am Morgen etwas Falsches gegessen hat? So unsicher eine solche Situation für den Gesprächspartner ist, da er sich notgedrungen innerhalb weniger Augenblicke für irgendeine Deutung entscheiden und dieser Deutung entsprechend handeln muss, so viele Möglichkeiten bietet sie für Autoren, ihre Figuren in Konflikte hineingeraten zu lassen, die durch die simple Tatsache einer Fehlinterpretation gehörter Worte oder wahrgenommenen Verhaltens hervorgerufen wurden.

Was für verschiedene Facetten von möglichen Fehlinterpretationen es hierbei geben kann, zeigt auf eine eindrückliche Weise das Kommunikationsmodell der vierseitigen Nachricht, das der Kommunikationsforscher Friedemann Schulz von Thun entwickelt hat und das auch für den Umgang eines Autors mit seinen Romanfiguren ausgesprochen nützlich sein kann, wenn es darum geht, die tieferen Motivations- und Konfliktebenen in einem Dialog zwischen seinen Figuren im Blick zu behalten. Nach diesem Modell sind in allem, was ein Mensch sagt oder tut (also sowohl in seinen gesprochenen Worten als auch in seiner Körpersprache) stets vier verschiedene Botschaften enthalten, die alle gleichzeitig an den Gesprächspartner gesendet werden – ob man das nun will oder nicht oder ob es einem bewusst ist oder völlig unbewusst bleibt – und die der Gesprächspartner interpretieren muss.

Zum einen zeige ich meinem Gegenüber mit jeder meiner Äußerungen, was gerade in mir vorgeht, was für Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse ich in diesem konkreten Moment habe. Das ist die Ebene des Selbstausdrucks. Dieser Selbstausdruck kann von einem Menschen bewusst eingesetzt werden, um eine bestimmte Wirkung beim anderen zu erzielen, oder er kann völlig unabsichtlich und unbewusst sein. Ein Mann, der in Cowboy-Stiefeln und eng sitzendem T-Shirt, durch das man seine Fitnessstudio-gestählten Bizeps bewundern kann, eine Kneipe betritt, möchte vielleicht ganz bewusst über sich selbst zum Ausdruck bringen: „Ich bin ein cooler Typ!“ So etwas wäre bei Romanfiguren (bei realen Menschen natürlich auch) ein sogenanntes sprechendes Detail, weil es – ohne dass der Autor irgendeine auktoriale Erklärung dazu abgeben müsste – etwas Bestimmtes über eine Figur aussagt. Und je mehr solcher sprechenden Details in die gleiche Richtung weisen, desto klarer wird der emotionale Eindruck sein, den der Leser von dieser Figur hat. Ein sprechendes Detail wäre es ebenso, wenn der Selbstausdruck der Figur ihr selbst unbewusst wäre, etwa wenn sie glaubt, ihr Alkohol-Problem vor der Welt verborgen zu haben, während alle Kollegen im Büro schon Witze über die Weinfahne reißen, die ihnen jeden Morgen von dieser Figur entgegenweht.

Die zweite Botschaft, die jeder Mensch und jede Romanfigur bei jeder Äußerung automatisch mitsendet, betrifft die Ebene des Appells. Alles, was ein Mensch tut oder sagt, geschieht mit einer bestimmten Absicht und soll seinen Gesprächspartner in einer bestimmten Weise beeinflussen. Wenn ich weine, möchte ich vielleicht, dass die anderen Mitleid mit mir haben und mich trösten (und auch, wenn ich diese Absicht nicht habe, spürt mein Gegenüber in der Regel durchaus einen Appell, in irgendeiner Form auf meine Tränen zu reagieren), wenn ich meinen Arbeitskollegen in allen Einzelheiten von meinem grandiosen Sommerurlaub erzähle, will ich möglicherweise, dass sie neidisch auf mich sind.

Die dritte Ebene, die bei jeder meiner Äußerungen stets mit im Spiel ist, ist die Beziehungsseite meiner Nachricht. Mit allem, was ich tue oder sage, sage ich gleichzeitig auch etwas über die Art der Beziehung, die ich glaube, mit einem anderen Menschen zu haben, oder die ich mit meinem Verhalten herstellen will. Ein Mann, der einer wildfremden Frau auf der Straße innerhalb von fünf Minuten seine traumatischsten Kindheitserlebnisse erzählt und sie danach noch zum Einkaufen und zum Frisör begleitet, obwohl ihr das zunehmend unangenehmer wird, zeigt damit, wie er die Beziehung zu dieser Frau sieht. Auch ein Mensch, der seelenruhig in seinem Sessel sitzt und Zeitung liest, während sein Ehepartner bereits seit zwei Stunden im Schweiße seines Angesichts die Wohnung putzt, sendet mit einem solchen Verhalten – neben allem, was er sonst auch tut oder sagen mag – eine klare Botschaft auf der Beziehungsebene. Auch dies wären sprechende Details, die auf eine indirekte Weise – ohne dass es offen ausgesprochen werden müsste – etwas über eine Figur und ihr Verhältnis zu anderen Figuren aussagen würden.

Die vierte Ebene, auf der jeder Mensch bei jeder Äußerung eine Botschaft an den Gesprächspartner mitsendet, ist die Sachseite seiner Nachricht, also ganz schlicht das Thema, über das er gerade kommuniziert. Wenn Missverständnisse und Fehlinterpretationen diese Ebene betreffen, sind die daraus entstehenden Konflikte oft weniger dramatisch, allein aufgrund der Tatsache, dass sich alle Menschen über die elementaren Rahmenbedingungen der gegenwärtigen Situation in der Regel einig sind. Auf die Äußerung: „Uff, ist das heiß heute!“ mag der eine zustimmend nicken, während der andere entgegnet: „Ach, so schlimm finde ich es gar nicht!“, aber trotzdem wissen alle, dass es Sommer ist und das Thermometer immer höher steigt. Heftige Konflikte, die sich dennoch durch Fehlwahrnehmungen auf der Sachebene entzünden, können schnell in den Bereich massiver psychischer Störungen und Psychosen hineinreichen – wobei natürlich in einem solchen Fall die anderen drei Ebenen, vor allem die des Selbstausdrucks, besondere Bedeutung gewinnen, etwa wenn alle in Badeanzug und Badehose ins nächste Freibad pilgern, weil man auf dem Asphalt bereits Spiegeleier braten kann, während sich der kleine Horst-Detlef stattdessen in fünf Lagen Rollkragenpullover hüllt, sich seine Pudelmütze und Handschuhe überstülpt und seinen Schlitten aus der Garage holt.

Das Wichtige an diesen vier verschiedenen Seiten einer Nachricht ist nun, dass sie – da sie stets gleichzeitig mit jeder Nachricht sozusagen als Gesamtpaket mitgeschickt werden – vom Gesprächspartner interpretiert werden müssen, und das bedeutet, dass es sowohl auf der Sachseite einer Nachricht als auch auf der Selbstausdrucks-, Beziehungs- und Appellseite zu falschen Deutungen kommen kann, die zu heftigen Konflikten zwischen Menschen (und Romanfiguren) führen können. Selbst Äußerungen, die völlig eindeutig und positiv zu sein scheinen, können auf jeder dieser vier Ebenen vom Gesprächspartner missinterpretiert werden, etwa wenn eine Person zu einer anderen sagt: „Du siehst aber heute gut aus!“, woraufhin sich ihr Gesprächspartner brüsk abwendet, weil er statt des Kompliments (was es eigentlich sein sollte) vom anderen die Botschaft gehört hat: „Ich verachte dich, weil du dein Leben nicht auf die Reihe kriegst und völlig ungepflegt durch die Gegend läufst, und will dich deshalb mit einem geheuchelten Kompliment verhöhnen.“ Hier wäre es auf allen vier Ebenen der geäußerten Nachricht zu falschen Deutungen auf Seiten des Gesprächspartners gekommen, und jede dieser falschen Deutungen auf jeder Ebene hätte allein bereits ausgereicht, um einen Konflikt hervorzurufen.

Aufgabe: Schreiben Sie einen Dialog zwischen zwei Figuren, bei dem es auf möglichst vielen Ebenen der zwischen den Figuren gesendeten Nachrichten zu falschen Interpretationen kommt. Überlegen Sie sich dazu vorher jeweils für den Sender (also diejenige Figur, die gerade spricht oder sich in irgendeiner Form verhält), was er bei seiner allerersten Äußerung auf der Selbstausdrucksebene, der Beziehungsebene, der Appellebene und der Sachebene denkt und empfindet, und tun Sie dann dasselbe auf der Seite des Empfängers (also des Gesprächspartners, der das Gesagte oder das Verhalten der ersten Figur wahrnimmt und darauf reagiert). Schreiben Sie anschließend den Dialog zwischen den Figuren, bei dem sich das in den beiden ersten Sätzen entstandene Missverständnis als thematischer roter Faden durch das verbale und körpersprachliche Verhalten von beiden Gesprächspartnern zieht.

Ziel: Gerade bei konflikthaften Situationen und Dialogen zwischen Figuren ist es wichtig, sich als Autor bewusst zu sein, dass solche Konflikte nicht aus dem Nichts heraus entstehen und eskalieren, sondern Gründe haben, die im Denken und Fühlen der Figuren liegen und zu spezifischen Fehlwahrnehmungen und –interpretationen führen, die sowohl die verbalen Äußerungen als auch das Verhalten beeinflussen. Diese Übung soll dabei helfen, die sinnhafte Struktur und Dynamik von Konflikten in Dialogen klarer im Blick zu behalten, um zu verhindern, dass sich der Konflikt von der konkreten Psychologie der handelnden Figuren ablöst und zum (unplausiblen) Selbstzweck wird.

Das Konfliktpotenzial der freien Wahl - Juli 2, 2015 by Susanne Gavénis

Das Besondere am Konzept der vierseitigen Nachricht, das ich in meinem letzten Beitrag vorgestellt habe, ist nicht nur, dass alle vier Seiten zur gleichen Zeit an den Gesprächspartner übermittelt werden und es deshalb auf jeder von ihnen zu Fehlinterpretationen beim jeweiligen Empfänger kommen kann, sondern dass der Empfänger darüber hinaus auch die freie Wahl hat, auf welche Seite er bei seiner Antwort überhaupt reagieren will – völlig unabhängig davon, ob dem Sender der Nachricht nicht etwas gänzlich anderes wichtig war. Der Gesprächspartner kann beispielsweise bei seiner Antwort alle Seiten der Botschaft bis auf die des Selbstausdrucks ignorieren, obwohl der Sender möglicherweise das Gewicht auf die Appellseite legen wollte. So mag es ein wenig bizarr anmuten, wenn der Feldwebel beim Exerzieren mit Donnerstimme brüllt: „Gefreiter Schulze, da ist ja ein Fleck auf Ihren Stiefeln!“ und Schulze mitfühlend antwortet: „Sie Ärmster! Ihr Sauberkeitszwang muss Sie ja wirklich quälen! Aber ich kenne da einen guten Therapeuten, der hat auch meiner Tante Gertrude geholfen.“

Eine solche Verwechslung der Ebenen kann – wie so vieles andere auch – unabsichtlich geschehen, etwa aufgrund mangelnder sozialer Kompetenz, bestimmter biographisch erworbener Überzeugungen und Ängste u.a., oder sie kann gezielt vom Empfänger eingesetzt werden, um zum Beispiel einen Konflikt zu provozieren oder den Sender der Nachricht ins Leere laufen zu lassen. Vor allem die Betonung der Selbstausdrucks-Seite auf Kosten der anderen drei Seiten (also der Sachseite, der Beziehungsseite und der Appellseite) kann leicht als bewusstes Machtinstrument in Gesprächen missbraucht werden, um sich gegen Kritik zu immunisieren, z.B. wenn jemand sagt: „Wie kannst du es wagen, zu behaupten, ich wäre immer unpünktlich? Wer mit 45 noch Micky Maus-Comics liest, sollte erst mal erwachsen werden, bevor er andere kritisiert!“ Hier wird eine biographische Information, mit der der Sender etwas über seine Persönlichkeit aussagt, die aber nichts mit dem aktuellen Gespräch zu tun hat, absichtlich ins Spiel gebracht, um vom wahren Inhalt der Botschaft abzulenken. Auch ein absichtliches Unterstellen falscher Motive zielt in dieselbe Richtung, nach dem Motto: „Was, du magst meinen Schokoladenkuchen nicht? Das sagst du doch nur, weil du in der Schule immer gemobbt wurdest und dich jetzt an irgendeinem völlig Unschuldigen dafür rächen willst!“ Der möglicherweise gänzlich harmlose Appell „Lass uns doch das nächste Mal Zitronenkuchen essen!“ wird umgedeutet in einen ungerechtfertigten Angriff, den der Empfänger postwendend zum Sender zurückschmettert, und die eigentliche Botschaft bleibt unbeachtet.

Diesen Mechanismus der Verwechslung der Ebenen kann ein Autor in vielen Dialogen zwischen seinen Figuren einsetzen, um – entsprechend der jeweiligen Persönlichkeit der Figuren – Konflikte zu verschärfen, aber auch, um Entwicklungsprozesse von Figuren auf eine konstruktive Weise voranzubringen, indem z.B. biographisch angelegte Konflikte offener zur Sprache kommen. Wenn etwa ein Bruder zum anderen sagt: „Du willst, dass ich dir einen Keks gebe? Hol dir deinen verdammten Keks doch selbst! Deine Arroganz ist mal wieder typisch! Aber du bist ja immer von unserem Vater vorgezogen worden und durftest mit ihm zum Holzhacken in den Wald, während ich zu Hause bei Mutter bleiben musste. Du hast immer deinen Willen bekommen!“, könnte der andere Bruder entgegnen: „Was, du glaubst, Vater hätte mich vorgezogen? Ich habe das Holzhacken mit ihm gehasst! Nie war ich ihm gut genug. Aber als ältester Sohn sollte ja unbedingt ich sein Geschäft übernehmen. Du durftest immer bei Mutter bleiben. Wie sehr ich dich darum beneidet habe!“ In diesem Beispiel führt die Verwechslung bzw. einseitige Gewichtung der Ebenen durch den Empfänger (vom schlichten Appell: „Gib mir einen Keks!“ zu massiv negativ wahrgenommenen Selbstausdrucks- und Beziehungsbotschaften, die der eine Bruder glaubt, aus den Worten des anderen herausgehört zu haben) dazu, dass seit langer Zeit verkrustete biographische Konflikte zwischen den Brüdern aufbrechen und sich auf eine Lösung hin entwickeln können.

Viele Menschen haben aufgrund ihrer individuellen biographischen Erfahrungen solche einseitigen Empfangsgewohnheiten ausgebildet, die ihnen oft kaum oder gar nicht bewusst sind und die ihre Wahrnehmung und ihr Verhalten auf eine bestimmte Weise beeinflussen. So könnte ein Mensch, der aufgrund seiner früheren Erlebnisse Angst vor seinen Gefühlen und dem Gefühlsausdruck anderer entwickelt hat, es vorziehen, an ihn gerichtete Botschaften überwiegend auf der Sachseite wahrzunehmen und alle darin möglicherweise enthaltenen emotionalen Selbstausdrucks- und Beziehungsanteile auf Seiten seines Gesprächspartners mehr oder weniger aktiv herauszufiltern und unbeachtet zu lassen. Eine solche einseitige Gewichtung würde natürlich fast zwangsläufig zu Konflikten mit seiner sozialen Umwelt führen, die man als Autor – wäre es eine Romanfigur – für seine Geschichte nutzbar machen kann. Ein schüchterner und sehr an seinem Selbstwert zweifelnder Mensch mag demgegenüber vielleicht die Beziehungsseite oder die Appellseite an ihn gerichteter Nachrichten überbetonen und fehldeuten, etwa wenn sein Gesprächspartner sagt: „Ist das kalt heute!“ (was erst einmal ein reiner Selbstausdruck der Empfindungen des Senders ist und überhaupt nichts mit dem Empfänger zu tun haben muss) und er aus Furcht, sonst unbeliebt zu sein, sofort aufspringt, um ihm eine Decke zu holen. Auch diese unausgewogene Empfangsgewohnheit würde sowohl bei einem Menschen als auch bei einer Romanfigur zu bestimmten Arten von zwischenmenschlichen Konflikten führen, die ein immer wiederkehrendes Muster bilden würden, das sich als konflikthafter biographischer roter Faden durch Dialoge und Szenen zieht. Gerade einseitige Empfangsgewohnheiten auf der Beziehungsseite zeigen sich oft in vermeintlich negativen Aussagen zur eigenen Person, die der Empfänger vom Sender zu bekommen glaubt, da eine überbetonte Beziehungsseite beim Wahrnehmen von Botschaften und ein geringes Selbstbewusstsein oft Hand in Hand gehen (obwohl natürlich auch das Gegenteil möglich ist), etwa wenn im Restaurant der eine Gesprächspartner zum anderen sagt: „Schau dir das mal an! Die Pizza, die ich bestellt habe, ist ja total angebrannt!“ und der andere sofort denkt, dass sein Freund böse auf ihn ist, weil er so dumm war, dieses miese Restaurant auszusuchen.

Bei Figuren in einem Roman ist es außerordentlich wichtig, solche einseitigen Empfangsgewohnheiten und daraus resultierenden Fehlinterpretationen auf eine plausible Weise mit der Biographie der entsprechenden Figur zu verknüpfen. Spezielle Erlebnisse positiver und negativer Art im Lauf des Lebens führen dazu, dass ein Mensch – und daher auch eine Romanfigur – bestimmte Überzeugungen von sich selbst und seinem Verhältnis zu seiner Umwelt bildet, und diese Überzeugungen wiederum sind der Grund für eine verzerrte Wahrnehmung empfangener Botschaften auf der Selbstausdrucks-, Beziehungs-, Sach- oder Appellseite. Auch eine Figur, die die Äußerungen anderer Figuren absichtlich falsch versteht, obwohl sie sie durchaus so empfängt, wie der Sender es beabsichtigt hatte, muss auf jeden Fall biographisch gut motiviert sein, damit ein solches Verhalten nicht zum reinen Selbstzweck wird und nur dazu dient, ohne Sinn und Verstand Konflikte zu erzeugen. Wahrnehmungsfehler und Fehlinterpretationen in Dialogen, die auf eine glaubwürdige Weise im biographischen Background und der Persönlichkeit einer Figur wurzeln, sind dagegen ein nahezu unerschöpflicher Quell an Möglichkeiten, Figuren konflikthaft aneinander geraten zu lassen.

 

Aufgabe: Denken Sie sich eine Figur aus, die auf eine bestimmte Weise zu einseitigen Empfangsgewohnheiten in Gesprächen neigt. Überlegen Sie anschließend, was für biographische Erfahrungen diese Figur dazu gebracht haben könnten, diese einseitigen Fehlwahrnehmungen auszubilden.

 

Ziel: Jede Romanfigur folgt in ihrem Gesprächsverhalten bestimmten kommunikativen Mustern, die in ihren biographischen Erlebnissen gründen. Über solche Muster eine größere Bewusstheit zu erlangen und sie sinnhaft in der Psychologie der jeweiligen Figur zu verorten, ist das Ziel dieser Übung.

Susanne Gavénis

Susanne Gavénis

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