Der große Moment für einen Autor ist gekommen – er setzt ein dickes Ende unter seine Geschichte. Seine Helden sind mutig in die letzte Schlacht gezogen, haben dem Bösewicht ordentlich in den Hintern getreten (oder – was natürlich auch passieren kann – haben von ihm eine deftige Abreibung bekommen), und nun soll auch der Rest der Welt von ihren Abenteuern erfahren. Mit anderen Worten – der Roman wird veröffentlicht.
Zuvor steht der Autor jedoch vor der heiklen Aufgabe, den potenziellen Lesern seine Geschichte, die er selbst natürlich in- und auswendig kennt, schmackhaft zu machen. Die große Herausforderung ist dabei, durch eine Inhaltsbeschreibung zum einen Neugier beim Leser zu wecken und zum anderen die Handlung so knapp zusammenzufassen, dass der Leser dadurch nicht verwirrt wird.
Würde man versuchen, alle wichtigen Ereignisse der Geschichte in den Klappentext hineinzuquetschen, damit der Leser auch wirklich erkennt, was für einen tollen und spannenden Roman er da in den Händen hält, hätte man vom Umfang her schnell einen neuen Roman geschrieben, und ein derart aufgeblähter Klappentext würde nicht neugierig machen, sondern sehr schnell ermüden. Ein Klappentext darf nicht selbst wieder ein Buch sein, sondern hat nur die Aufgabe, die Wahrnehmung sozusagen wie mit großen Leuchtbuchstaben auf ein Buch bzw. eine Geschichte hinzulenken.
Formuliert man diesen Klappentext andererseits jedoch allzu knapp, besteht die Gefahr, dass die Leser gar nicht begreifen, worum es in der Geschichte überhaupt gehen soll, und sich statt Neugier lediglich Ratlosigkeit breitmacht. Und auf Ratlosigkeit folgt Desinteresse – was für den Verkaufserfolg eines Romans natürlich eher kontraproduktiv ist.
Der Autor ist also gezwungen, sich genau zu überlegen, was den inhaltlichen Kern seiner Geschichte ausmacht. Er muss gewissermaßen das Skelett, das allen Ereignissen des Romans Struktur und Form verleiht, von dem Fleisch trennen, das zwar durchaus schmackhaft sein kann, aber zum Verständnis der Geschichte nicht unmittelbar notwendig ist. Will er einen zugleich knappen und aussagekräftigen Klappentext formulieren, muss er eine Antwort auf die Frage finden, was der rote Faden seiner Geschichte ist, der sich von der ersten Zeile bis zur letzten durch die Handlung zieht.
Sinnvollerweise sollte ein Autor diesen roten Faden bereits kennen, bevor er mit dem Schreiben seiner Geschichte beginnt. Der Klappentext – der ja ganz am Ende der Arbeit an einem Roman steht – schlägt auf diese Weise eine Brücke zum Beginn, nämlich zur Planungs- und Konzeptionsphase, in der sich der Autor schließlich entscheidet, wer die Protagonisten der Geschichte sein sollen und auf welche Weise sie durch die Ereignisse, die im Verlauf der Handlung auf sie einwirken, verändert werden. Diese Entscheidungen legen zugleich fest, was viele Monate später in den Klappentext hineingehört und was draußen bleiben muss.
Einige Leser meiner Romane haben mich gefragt, warum ich bei meinen Klappentexten immer die zweite Hauptfigur unter den Tisch fallen lasse. Bei „Shai’lanhal“ wird im Klappentext mit keinem Wort erwähnt, dass meinem Protagonisten Shaan mit Deleja eine weitere zentrale Figur zur Seite steht. Bei der „Gwailor-Chronik“ geht es im Klappentext lediglich um das Schicksal von Prinz Dayin, aber die sympathische und mutige Prinzessin Lilell aus dem Nachbarkönigreich wird totgeschwiegen, obwohl auch sie für die Handlung der Geschichte unverzichtbar ist. Gleiches gilt für „Der Dunkelelf“. Protagonist Vian erhält von mir im Klappentext die volle Aufmerksamkeit, während die zweite Hauptfigur Lerith abermals nicht zu existieren scheint.
Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass ich meinen männlichen Protagonisten deutlich mehr zugetan bin als meinen weiblichen und die Mädel in meinen Geschichten ungerecht und stiefmütterlich behandle. Ich versichere an dieser Stelle, dass das Gegenteil der Fall ist. In all meinen Romanen mochte ich die weiblichen Hauptfiguren genauso gern wie die männlichen. Warum aber tauchen Deleja, Lilell und Lerith dann nicht auch in meinen Klappentexten auf?
Die Antwort auf diese Frage hängt mit etwas zusammen, das in Schreibratgebern „Prämisse“ genannt wird. Eine Prämisse ist dabei nichts anderes als der oben erwähnte rote Faden, der einer Geschichte ihre sinnhafte Struktur gibt. Mit Hilfe einer Prämisse legt ein Autor fest, worin der zentrale Konflikt des Protagonisten bestehen soll und wie die Entwicklung aussieht, die er im Laufe der Handlung vollzieht.
Eine solche Prämisse besteht in der Regel nur aus einem einzigen Satz, z.B. „Vertrauen in sich selbst führt zum Erfolg“ oder „Das Akzeptieren der eigenen Identität führt zum Glück“ oder „Eifersucht führt in die Selbstzerstörung“ oder „Das egoistische Verfolgen eigener Ziele führt zur Weltherrschaft“ usw. Zentrales Element einer Prämisse ist stets ein bestimmter Aspekt der Hauptfigur, der über konflikthafte Ereignisse schließlich zu einem bestimmten psychischen und emotionalen Endzustand des Protagonisten hinführt.
Auch wenn jede wichtige Figur eines Romans idealerweise ihre eigene Prämisse besitzen sollte, muss sich ein Autor vor Beginn seines Schreibens entscheiden, welche Prämisse welcher Figur zum roten Faden bzw. zum inhaltlichen Skelett seiner Geschichte werden soll. Auch wenn es in dieser Geschichte noch weitere bedeutsame Hauptfiguren gibt, ist es doch die Prämisse der zentralen Hauptfigur, die den Gang der Ereignisse bestimmt.
Dies zeigt sich bereits daran, dass der Autor seine Geschichte mit Szenen beginnt, in denen die eigentliche Hauptfigur mit ihrem zentralen Konflikt (d.h. mit ihrer Prämisse) in die Handlung eingeführt wird, während andere wichtige Hauptfiguren erst danach eingeführt werden. „Shai’lanhal“ beginnt mit der Einführung von Shaan, während Deleja erst mehrere Kapitel später in der Geschichte auftaucht. In der „Gwailor-Chronik“ beginnt jeder neue Zeitabschnitt nach einem Zeitsprung mit Dayins Kapiteln, während die Erlebnisse Lilells erst danach kommen. Auch „Der Dunkelelf“ beginnt nach dem Prolog mit Bösewicht Balarot mit der Einführung Vians und seinen Konflikten, während Lerith und ihre Probleme erst zu einem späteren Zeitpunkt thematisiert werden.
Die Geschichten beginnen jeweils mit dem Hauptprotagonisten, da es seine Prämisse ist, die bestimmend für die Handlung ist, während die anderen Hauptfiguren erst später dazu stoßen und ihre eigene Prämisse mit der Prämisse der zentralen Hauptfigur verflechten. Doch die Richtung gibt stets die Prämisse der zentralen Hauptfigur vor. Dies ist eine unbedingte Notwendigkeit bei der Konzeption von Romanen.
Für den Klappentext bedeutet das, dass man sich bei seiner Formulierung ausschließlich auf den roten Faden konzentrieren sollte, der von der Hauptprämisse des zentralen Protagonisten gebildet wird. Andere Protagonisten – auch wenn sie noch so wichtig oder sympathisch sind – sind in diesem Fall vernachlässigbar. Natürlich kann man theoretisch auch andere wichtige Figuren in einem Klappentext erwähnen, ich denke jedoch, dass dadurch die Prägnanz und die inhaltliche Geschlossenheit des Klappentextes verwässert werden würden.
Einen Klappentext zu formulieren ist in der Regel harte Arbeit, und auszuwählen, was hinein soll und was draußen bleiben muss, ist zuweilen durchaus schmerzlich für einen Autor. Die Arbeit mit einer Prämisse erleichtert diesen Prozess, weil sie dem Autor Entscheidungskriterien an die Hand gibt, mit deren Hilfe er eine begründete Wahl treffen kann, welche Elemente der Handlung für eine Inhaltsbeschreibung relevant sind und welche nicht. Was für den Klappentext gilt, gilt in ebensolcher Weise auch für das Verfassen eines Exposés. Aber das ist wieder eine andere Geschichte und würde an dieser Stelle zu weit führen.
Als Fazit kann ich aus vollem Herzen sagen, dass mir meine weiblichen Hauptfiguren genauso ans Herz gewachsen sind wie meine männlichen. Sie hatten lediglich das Pech, dass die Geschichten, die ich bisher erzählt habe, in meinen Augen mit einer männlichen Figur als zentralem Protagonisten besser funktioniert haben als mit einem weiblichen. Wer Lust hat, kann das gern selbst einmal nachprüfen, indem er sich vorstellt, Shaan, Dayin und Vian wären Mädel gewesen oder wie die Geschichten wirken würden, hätte ich Delejas, Lilells und Leriths Handlungsabschnitten in der Abfolge der Ereignisse jeweils den Vorzug vor denen der männlichen Hauptfiguren gegeben. Ich denke, das hätte einfach nicht gepasst. Aber wer weiß – vielleicht schreibe ich ja irgendwann mal eine Geschichte, in der die Prämisse eines Mädels tonangebend ist. Dann würden auch die Männer im Klappentext keinen Stich machen.
Bei der Konzeption seiner Figuren gilt es für einen Autor, sich über eine Menge Dinge klar zu werden. Das umfasst neben den naheliegenden Fragen nach dem Geschlecht, dem Aussehen, den biographischen Erfahrungen und – damit zusammenhängend – dem Charakter von Protagonist und Antagonist auch die Überlegung, welcher Rasse eine Figur angehören soll. Je nachdem, mit welchen inneren und äußeren Konflikten sich die Hauptfigur einer Geschichte auseinandersetzen muss, ist die Entscheidung hinsichtlich dieses Aspekts oft von enormer Bedeutung für die gesamte Handlung und steckt den Rahmen ab, innerhalb dessen sich der Held oder die Heldin bewähren muss.
Gleiches gilt grundsätzlich auch für die Konzeption von Fantasy-Romanen. Auch hier findet mit der Festlegung der Rassenzugehörigkeit des Protagonisten eine Weichenstellung statt, die die Marschrichtung für die Handlung und die Entwicklung der Hauptfigur vorgibt, und dies umso mehr, je mehr unterschiedliche Rassen die fiktive Welt der Geschichte bevölkern sollen. Treffen Menschen, Elfen, Zwerge, Orks und Trolle in einem bunten Völkergemisch aufeinander, ist das Pulverfässchen mit der brennenden Lunte niemals weit entfernt.
Mit etwas weniger Dramatik aufgeladen ist das Ganze, wenn es – so wie in „Der Dunkelelf“ – nur eine einzige Rasse gibt. Dennoch war die Entscheidung, Elfen die Hauptrolle in der Geschichte spielen zu lassen, am Anfang meiner Planungsphase nicht so klar, wie es vielleicht scheinen mag. Gerade weil die klassischen Reibungspunkte zwischen den unterschiedlichen Fantasy-Rassen in „Der Dunkelelf“ nicht im Mittelpunkt stehen sollten, sondern ich den Fokus auf die Konflikte zwischen den verschiedenen Clans legen wollte, habe ich mich gefragt, was eigentlich dagegen spricht, statt der Elfen gewöhnliche Menschen als Figuren meines Romans zu verwenden. Die Clans hätten statt aus Elfen auch aus normalen Menschen bestehen können, und auch für die Elementmagie hätte es nicht notwendigerweise Elfen gebraucht (schließlich war Shaan, mein Protagonist aus „Shai’lanhal“, auch kein Elf, und die Geschichte hat trotzdem gut funktioniert). Und da ich bei meiner Arbeit als Autorin stets nach dem Ökonomieprinzip verfahre und streng darauf achte, keine für die Handlung und die Figurenentwicklung überflüssigen Elemente in meine Geschichten einzubauen (weshalb ich meine Protagonisten auch nicht ohne zwingenden Grund zu einem Zwerg oder Troll machen würde, außer die Story erfordert es), hat sich mir erst recht die Frage gestellt, ob eine Entscheidung für Elfen und gegen Menschen nicht ein solches überflüssiges Element wäre.
Dass meine Wahl am Ende trotzdem auf die Elfen gefallen ist und die Menschen leer ausgegangen sind, hat mehrere Gründe. Zum einen konnte ich mich der Tatsache nicht verschließen, dass die Vertreter der klassischen Fantasy-Rassen für die Leser von Fantasy-Romanen mit besonderen Bedeutungen aufgeladen sind und bestimmte Assoziationen auslösen, die nicht untereinander austauschbar sind. Ohne dass man als Autor auch nur ein Wort der Charakterisierung darüber verlieren müsste, würde dem Begriff „Mensch“ sofort etwas Robustes und Bodenständiges anhaften, während mit dem Begriff „Elf“ auf der Gefühlsebene mehr das Ätherische und Grazile assoziiert ist, das Fließende und Magische, das bereits von seiner bloßen Existenz her den Kräften der Natur näher steht, als ein Mensch dies täte. Eine solche magisch getönte Assoziation zwischen meinen Figuren und der sie umgebenden Welt erschien mir für die Art von Geschichte, die ich erzählen wollte, passender, weil ich dabei auf Bedeutungsgehalte zurückgreifen konnte, die in der Fantasie der Leser bereits angelegt waren, und ich sie nicht erst durch meine Erklärungen und Beschreibungen herstellen musste. Das mag subtil und wenig offensichtlich sein, für mich als Autorin war es dennoch von Bedeutung, als ich in meine Figuren und die Geschichte hineingespürt habe.
Was vor allem für meine beiden Protagonisten Vian und Lerith gilt, gilt in ebensolcher Weise für meinen Bösewicht Balarot. Auch hier wäre es möglich gewesen, aus Balarot einfach nur einen abtrünnigen menschlichen Zauberer zu machen, der sich gemeinsam mit einer Gruppe von anderen schurkischen Zauberern mit schwarzer und verbotener Magie beschäftigt (was ja in Fantasy-Romanen nichts Ungewöhnliches ist). Doch Balarot ist nicht einfach nur ein fieser Zauberer. Er ist ein Dunkelelf. Was auf der oberflächlichen Ebene vielleicht gleich aussieht, offenbart seine wirkliche Bedeutung, wie ich finde, in den Assoziationen, die mit dem Begriff „Dunkelelf“ verbunden sind und sich von denen unterscheiden, die von dem Begriff „abtrünniger menschlicher Magier“ ausgelöst werden würden. Im Wort „Dunkelelf“ schwingt bereits etwas von der Pervertierung mit, die alle mit den Elfen assoziierten Eigenschaften in ihr Gegenteil verkehrt, und eine solche unterschwellige emotionale Verknüpfung mit bestimmten Bedeutungen war mir für das Verhältnis zwischen meinen Protagonisten und meinem Antagonisten im Fall „Der Dunkelelf“ besonders wichtig.
Unabhängig von diesen Erwägungen der eher subtilen Art, die vielleicht nur ich als Autorin so empfunden habe, die aber für die meisten Leser gar nicht von Belang gewesen wären (was immer möglich ist, da ein Autor letztlich immer nur von sich selbst ausgehen und lediglich Mutmaßungen über die Gedanken und Gefühle seiner Leser anstellen kann), gibt es aber auch handfestere Gründe, die mich dazu bewogen haben, meine Figuren zu Elfen statt zu Menschen zu machen. Als Elfen besitzen die Figuren Eigenschaften, die ihnen als Mensch abgehen würden, die aber für die Konzeption der Geschichte wichtig waren, z.B. eine große Ausdauer, die sie dazu befähigt, sozusagen mit der Leichtigkeit des Windes schnell größere Entfernungen zurückzulegen, oder einen stark ausgeprägten Orientierungssinn, der ihnen hilft, nicht blind und konfus in der Gegend herumzustolpern. Beide Fähigkeiten sind in meiner Vorstellung Ausdruck der grundlegenden Verbundenheit der Elfen mit der Natur, die über die von Menschen hinausgeht, so dass ich davon absehen konnte, an den notwendigen Stellen im Roman mehr oder weniger bemühte Erklärungen dafür zu finden, warum meine Figuren die Dinge können, die sie können.
Auch solche Überlegungen spielen in der Planungsphase einer Geschichte oft eine wichtige Rolle, und gerade Fantasy-Autoren haben hier im Vergleich zu Autoren aus anderen Genres den Vorteil, ganz selbstverständlich auf bestimmte, mit einer speziellen Fantasy-Rasse assoziierte Fähigkeiten zurückgreifen zu können, um Storyentscheidungen plausibel machen zu können, für die ansonsten einiger Erklärungsaufwand notwendig wäre. Dass in diesem Vorteil gleichzeitig auch wieder Gefahren für die Konzeption stecken, ist wiederum eine andere Geschichte und würde an dieser Stelle zu weit führen. Sinnvoll und in Maßen eingesetzt, bietet die Existenz der etablierten Fantasy-Rassen den Autoren aber ein Füllhorn an Möglichkeiten, ihren Geschichten ein charakteristisches und eigenständiges Flair zu verleihen.
All diese Gründe haben mich schließlich dazu bewogen, die Welt meiner „Schwarzen Quelle“ vollständig mit Elfen zu bevölkern und den Menschen eine kleine Erholungspause zu gönnen. Ich denke, es war die richtige Entscheidung, und hoffe wie jedes Mal, wenn ich einen neuen Roman veröffentlicht habe, dass meine Leser das genauso sehen werden. Es bleibt für einen Autor also immer spannend.
Dem aufmerksamen Leser wird es nicht entgangen sein – nach „Shai’lanhal“ ist „Der Dunkelelf“ mein zweiter Roman, in dem die Figuren über die Kräfte des Windes, des Feuers, des Wassers und der Erde gebieten. Was macht für den Leser von Fantasy-Romanen (oder für den Zuschauer, wenn es sich um einen Film handelt) den besonderen Reiz gerade dieser speziellen Spielart der Magie aus? Dies hat, soweit ich sehen kann, mehrere Gründe.
Zum einen ist eine Magie, die auf der Beherrschung der vier Elemente gründet, auf eine viel intimere Weise mit dem Leben und den natürlichen Lebensbedingungen des Menschen verbunden als jede andere Form der Zauberei. Die Erde, das Wasser, die Luft und die Wärme des Feuers und der Sonne sind die Grundlage, die jegliches Leben überhaupt erst möglich macht. Sie sind in jeder einzelnen Sekunde ein unauslöschlicher Teil der körperlichen Existenz des Menschen, fließen durch ihn hindurch, nähren und erhalten ihn – oder können ihn auch zerstören. Diese fundamentale Abhängigkeit des Menschen von den Elementen ist etwas, das schon immer zugleich fasziniert und Angst gemacht hat, und die Versuche, die elementaren Kräfte der Natur mit Hilfe magischer Praktiken zu beherrschen und zu kontrollieren, sind so alt wie die Menschheit selbst.
Zum anderen wohnt den Elementen und ihrer magischen Manipulation durch diese existentielle Ursprünglichkeit eine archaische und beinahe archetypische Qualität inne, die ihre Wirkung auf einer tieferen emotionalen und psychischen Ebene entfaltet, als dies bei anderen und diesem archetypischen Kern ferneren Ausdrucksformen der Magie in Fantasy-Geschichten der Fall ist. Ein Magier, der aus dem Nichts eine Flammenwand emporlodern lassen oder die tosenden Wogen eines Meeres mit einer einzigen Handbewegung dazu bringen kann, vor ihm zurückzuweichen, hat direkten Zugriff auf die Schöpfungskraft selbst, während ein Magier, der einem grunzenden Troll mit einem schadenfrohen Grinsen ein Paar Kaninchenohren an den plumpen Schädel zaubert oder die Fähigkeit besitzt, die Sprache der Vögel und Eichhörnchen zu verstehen, sich zwar unseres Staunens als Leser gewiss sein kann, aber nicht im selben Maße das Gefühl in uns hervorruft, gerade Zeuge von etwas Größerem, Bedeutsameren geworden zu sein, das über die profane – auch magisch manipulierbare – Realität hinausreicht und auf eine andere Art als gewöhnliche Magie von Macht durchdrungen ist. Der Erfolg solcher Geschichten wie „Avatar – Herr der Elemente“ (die Zeichentrick-Serie, nicht der Film) geht in meinen Augen – neben der sehr guten Story, die erzählt wird – auch auf diese tiefere emotionale Wirkung der Elementmagie zurück. Jeder, der miterlebt hat, wie sich im finalen Endkampf die Hauptfiguren zu getragener orchestraler Musik minutenlang ein magisches Duell auf Leben und Tod liefern, wird, denke ich, verstehen, was ich meine.
Auf der Ebene der Storykonzeption hat die Elementmagie darüber hinaus den großen Vorteil, dass sie für den Autor handhabbar und für den Leser einschätzbar ist. Eines der zentralen Prinzipien einer guten Figurenkonzeption ist es, die Fähigkeiten einer Figur für den Leser transparent zu gestalten. Dies ist auch ein wichtiger Aspekt, wenn es darum geht, Spannung in einer Geschichte zu erzeugen und aufrecht zu erhalten. Weiß man als Leser niemals genau, was für Stärken und Schwächen eine Figur nun genau besitzt, kann man auch nicht einschätzen, ob eine scheinbare Gefahrensituation überhaupt eine Bedrohung für sie darstellt oder ob sie nicht plötzlich mit einem gelangweilten Gähnen einen spektakulären magischen Trick aus dem Hut zaubert, mit dem sie ihren Hals – der offenbar niemals wirklich in Gefahr war – lässig wieder aus der Schlinge zieht. Eine Figur – bzw., um bei unserem Thema zu bleiben, ein Magier -, die alles kann, weil der Autor es versäumt hat, ihren Fähigkeiten klare Grenzen zu setzen, ist jedoch der Tod jeder interessanten und spannenden Geschichte.
Dieser Umstand wird noch dadurch verschärft, dass der Autor ein ordentliches Plausibilitätsproblem bekommt, wenn er seinen scheinbar allmächtigen Magier doch einmal in ernsthafte Schwierigkeiten geraten lässt, durch die – dramatisch! – mit einem Mal sogar sein Leben auf dem Spiel steht. Hat sich dieser Magier in früheren brenzligen Situationen jedoch damit aus der Affäre gezogen, dass er sich z.B. einmal in eine Maus verwandelt hat, um durch eine Mauerritze aus einem Verlies zu entkommen, hat er ein anderes Mal einen Berg über einer anrückenden Ork-Armee einstürzen lassen und ein drittes Mal das sinistre Komplott des Bösewichts dadurch aufgedeckt, indem er durch zehn Backsteinmauern hindurch jedes Wort belauscht, das sich die Verschwörer in ihrem Geheimversteck ins Ohr flüstern, dann ist dem Leser nicht verständlich zu machen, warum er plötzlich nicht bemerkt, wie sich sein Gegenspieler in aller Ruhe von hinten an ihn heranschleicht und ihn überwältigt, und warum er es nicht fertig bringt, sich von seinen Fesseln zu befreien, mit denen er auf dem Heuwagen festgebunden ist, der führerlos auf einen Abgrund zurast (oder den Heuwagen anderweitig zu stoppen).
Die Gefahr, dass eine Figur grundlos unter den Möglichkeiten bleibt, die sie aufgrund ihrer Fähigkeiten eigentlich haben müsste, existiert natürlich immer, und jeder Autor tut gut daran, sich ihrer stets bewusst zu sein. Die Elementmagie bietet ein natürliches Regulativ gegenüber einer solchen Beliebigkeit und Unvorhersehbarkeit im Handeln einer Figur. Verfügt eine Figur über die Fähigkeit, ein bestimmtes Element zu kontrollieren (Erde, Feuer, Wasser, Luft oder – wie im Fall der Elfen aus „Der Dunkelelf“ – die Heilung von Lebewesen und das Wachstum von Pflanzen), so sind die Grenzen ihrer Magie dadurch einerseits eindeutig definiert, andererseits bleibt ihr aber immer noch ein großer Spielraum, um kreative Lösungen für Probleme oder Gefahrensituationen zu finden, die die Leser überraschen können (was natürlich ebenfalls sehr wichtig ist).
Ob ein Luftmagier nun einen kleinen Tornado entstehen lässt, um die auf ihn zustürmende Wildsau einfach aus dem Weg zu pusten, ob er mit einem kraftvollen Windstoß einen Baum entwurzelt, der der Sau als Barriere vor die Füße fällt, oder ob er ihr brutal die Luft aus den Lungen saugt und sie bewusstlos zusammenbrechen lässt (oder noch viele andere Dinge mehr, die ihm und dem Autor gerade einfallen), ist dabei gleichgültig. Solange sich die gefundene Lösung innerhalb der Grenzen der Möglichkeiten bewegt, die der Autor für den Ausdruck dieser Magie festgelegt hat, wird der Leser vielleicht verblüfft, aber nicht verärgert oder gar befremdet darauf reagieren, und er wird nicht das Gefühl haben, vom Autor für dumm verkauft worden zu sein.
Hätte der Magier die arme Sau dagegen mit einer gezielten Flammengarbe in einen Schmorbraten verwandelt, statt sie, getragen auf den sanften Schwingen des Windes, in den nächsten Baumwipfel zu befördern, hätte er die Gesetze der Luftmagie verletzt und wäre von einer Sekunde zur anderen zum Feuermagier mutiert. Einen derartigen Bruch mit den als gültig vorausgesetzten magischen Spielregeln würde der Leser vermutlich eher mit einem ungläubigen Stirnrunzeln quittieren, statt sich darüber zu freuen.
Verbindet man all diese Vorzüge der Elementmagie schließlich noch mit einer konflikthaften Ausgangssituation für den Protagonisten – etwa ein Feuermagier, der sich vor der zerstörerischen Seite seiner Magie fürchtet und lieber ein Wassermagier wäre -, hat man ein hervorragendes Material, um mit relativ wenig konzeptionellem Aufwand die Grundlagen für eine interessante Geschichte festzuzurren. Natürlich sind die unterschiedlichsten Arten von inneren und äußeren Konflikten auch mit anderen Formen der Magie als der Elementmagie möglich, aber gerade aufgrund ihrer klaren Regeln und Gesetzmäßigkeiten ist die Elementmagie für eine konflikthafte Figurenkonzeption und die glaubwürdige Auflösung von Gefahrensituationen im Verlauf der Handlung besonders gut geeignet.
Vor allem bei sehr magielastigen Fantasy-Romanen ist das Risiko groß, dass diese Magie zu einem Storykiller wird, wenn ihre Möglichkeiten und Grenzen vom Autor nicht gut genug ausgearbeitet werden. Ein klar konzipierter Feuer- oder Wassermagier ist mir deshalb allemal lieber als ein geheimnisvoller Gandalf, der zwar alles irgendwie zu können scheint, in Momenten, in denen es wirklich darauf ankäme, seinen Zauberstab jedoch lieber als gewöhnlichen Knüppel gebraucht, statt als der mächtige Magier zu agieren, als der er sich in früheren Bedrohungslagen ja bereits oft genug erfolgreich geriert hat. Gerade für den Einsatz von Magie in Fantasy-Geschichten gilt daher die alte Weisheit, dass weniger (dafür aber transparenter und einschätzbarer für den Leser) ganz entschieden mehr ist.