Bei der Konzeption seiner Figuren gilt es für einen Autor, sich über eine Menge Dinge klar zu werden. Das umfasst neben den naheliegenden Fragen nach dem Geschlecht, dem Aussehen, den biographischen Erfahrungen und – damit zusammenhängend – dem Charakter von Protagonist und Antagonist auch die Überlegung, welcher Rasse eine Figur angehören soll. Je nachdem, mit welchen inneren und äußeren Konflikten sich die Hauptfigur einer Geschichte auseinandersetzen muss, ist die Entscheidung hinsichtlich dieses Aspekts oft von enormer Bedeutung für die gesamte Handlung und steckt den Rahmen ab, innerhalb dessen sich der Held oder die Heldin bewähren muss.

Gleiches gilt grundsätzlich auch für die Konzeption von Fantasy-Romanen. Auch hier findet mit der Festlegung der Rassenzugehörigkeit des Protagonisten eine Weichenstellung statt, die die Marschrichtung für die Handlung und die Entwicklung der Hauptfigur vorgibt, und dies umso mehr, je mehr unterschiedliche Rassen die fiktive Welt der Geschichte bevölkern sollen. Treffen Menschen, Elfen, Zwerge, Orks und Trolle in einem bunten Völkergemisch aufeinander, ist das Pulverfässchen mit der brennenden Lunte niemals weit entfernt.

Mit etwas weniger Dramatik aufgeladen ist das Ganze, wenn es – so wie in „Der Dunkelelf“ – nur eine einzige Rasse gibt. Dennoch war die Entscheidung, Elfen die Hauptrolle in der Geschichte spielen zu lassen, am Anfang meiner Planungsphase nicht so klar, wie es vielleicht scheinen mag. Gerade weil die klassischen Reibungspunkte zwischen den unterschiedlichen Fantasy-Rassen in „Der Dunkelelf“ nicht im Mittelpunkt stehen sollten, sondern ich den Fokus auf die Konflikte zwischen den verschiedenen Clans legen wollte, habe ich mich gefragt, was eigentlich dagegen spricht, statt der Elfen gewöhnliche Menschen als Figuren meines Romans zu verwenden. Die Clans hätten statt aus Elfen auch aus normalen Menschen bestehen können, und auch für die Elementmagie hätte es nicht notwendigerweise Elfen gebraucht (schließlich war Shaan, mein Protagonist aus „Shai’lanhal“, auch kein Elf, und die Geschichte hat trotzdem gut funktioniert). Und da ich bei meiner Arbeit als Autorin stets nach dem Ökonomieprinzip verfahre und streng darauf achte, keine für die Handlung und die Figurenentwicklung überflüssigen Elemente in meine Geschichten einzubauen (weshalb ich meine Protagonisten auch nicht ohne zwingenden Grund zu einem Zwerg oder Troll machen würde, außer die Story erfordert es), hat sich mir erst recht die Frage gestellt, ob eine Entscheidung für Elfen und gegen Menschen nicht ein solches überflüssiges Element wäre.

Dass meine Wahl am Ende trotzdem auf die Elfen gefallen ist und die Menschen leer ausgegangen sind, hat mehrere Gründe. Zum einen konnte ich mich der Tatsache nicht verschließen, dass die Vertreter der klassischen Fantasy-Rassen für die Leser von Fantasy-Romanen mit besonderen Bedeutungen aufgeladen sind und bestimmte Assoziationen auslösen, die nicht untereinander austauschbar sind. Ohne dass man als Autor auch nur ein Wort der Charakterisierung darüber verlieren müsste, würde dem Begriff „Mensch“ sofort etwas Robustes und Bodenständiges anhaften, während mit dem Begriff „Elf“ auf der Gefühlsebene mehr das Ätherische und Grazile assoziiert ist, das Fließende und Magische, das bereits von seiner bloßen Existenz her den Kräften der Natur näher steht, als ein Mensch dies täte. Eine solche magisch getönte Assoziation zwischen meinen Figuren und der sie umgebenden Welt erschien mir für die Art von Geschichte, die ich erzählen wollte, passender, weil ich dabei auf Bedeutungsgehalte zurückgreifen konnte, die in der Fantasie der Leser bereits angelegt waren, und ich sie nicht erst durch meine Erklärungen und Beschreibungen herstellen musste. Das mag subtil und wenig offensichtlich sein, für mich als Autorin war es dennoch von Bedeutung, als ich in meine Figuren und die Geschichte hineingespürt habe.

Was vor allem für meine beiden Protagonisten Vian und Lerith gilt, gilt in ebensolcher Weise für meinen Bösewicht Balarot. Auch hier wäre es möglich gewesen, aus Balarot einfach nur einen abtrünnigen menschlichen Zauberer zu machen, der sich gemeinsam mit einer Gruppe von anderen schurkischen Zauberern mit schwarzer und verbotener Magie beschäftigt (was ja in Fantasy-Romanen nichts Ungewöhnliches ist). Doch Balarot ist nicht einfach nur ein fieser Zauberer. Er ist ein Dunkelelf. Was auf der oberflächlichen Ebene vielleicht gleich aussieht, offenbart seine wirkliche Bedeutung, wie ich finde, in den Assoziationen, die mit dem Begriff „Dunkelelf“ verbunden sind und sich von denen unterscheiden, die von dem Begriff „abtrünniger menschlicher Magier“ ausgelöst werden würden. Im Wort „Dunkelelf“ schwingt bereits etwas von der Pervertierung mit, die alle mit den Elfen assoziierten Eigenschaften in ihr Gegenteil verkehrt, und eine solche unterschwellige emotionale Verknüpfung mit bestimmten Bedeutungen war mir für das Verhältnis zwischen meinen Protagonisten und meinem Antagonisten im Fall „Der Dunkelelf“ besonders wichtig.

Unabhängig von diesen Erwägungen der eher subtilen Art, die vielleicht nur ich als Autorin so empfunden habe, die aber für die meisten Leser gar nicht von Belang gewesen wären (was immer möglich ist, da ein Autor letztlich immer nur von sich selbst ausgehen und lediglich Mutmaßungen über die Gedanken und Gefühle seiner Leser anstellen kann), gibt es aber auch handfestere Gründe, die mich dazu bewogen haben, meine Figuren zu Elfen statt zu Menschen zu machen. Als Elfen besitzen die Figuren Eigenschaften, die ihnen als Mensch abgehen würden, die aber für die Konzeption der Geschichte wichtig waren, z.B. eine große Ausdauer, die sie dazu befähigt, sozusagen mit der Leichtigkeit des Windes schnell größere Entfernungen zurückzulegen, oder einen stark ausgeprägten Orientierungssinn, der ihnen hilft, nicht blind und konfus in der Gegend herumzustolpern. Beide Fähigkeiten sind in meiner Vorstellung Ausdruck der grundlegenden Verbundenheit der Elfen mit der Natur, die über die von Menschen hinausgeht, so dass ich davon absehen konnte, an den notwendigen Stellen im Roman mehr oder weniger bemühte Erklärungen dafür zu finden, warum meine Figuren die Dinge können, die sie können.

Auch solche Überlegungen spielen in der Planungsphase einer Geschichte oft eine wichtige Rolle, und gerade Fantasy-Autoren haben hier im Vergleich zu Autoren aus anderen Genres den Vorteil, ganz selbstverständlich auf bestimmte, mit einer speziellen Fantasy-Rasse assoziierte Fähigkeiten zurückgreifen zu können, um Storyentscheidungen plausibel machen zu können, für die ansonsten einiger Erklärungsaufwand notwendig wäre. Dass in diesem Vorteil gleichzeitig auch wieder Gefahren für die Konzeption stecken, ist wiederum eine andere Geschichte und würde an dieser Stelle zu weit führen. Sinnvoll und in Maßen eingesetzt, bietet die Existenz der etablierten Fantasy-Rassen den Autoren aber ein Füllhorn an Möglichkeiten, ihren Geschichten ein charakteristisches und eigenständiges Flair zu verleihen.

All diese Gründe haben mich schließlich dazu bewogen, die Welt meiner „Schwarzen Quelle“ vollständig mit Elfen zu bevölkern und den Menschen eine kleine Erholungspause zu gönnen. Ich denke, es war die richtige Entscheidung, und hoffe wie jedes Mal, wenn ich einen neuen Roman veröffentlicht habe, dass meine Leser das genauso sehen werden. Es bleibt für einen Autor also immer spannend.

14.06.2017 um 18:11 von Susanne Gavénis
Kategorie: Der Dunkelelf