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Category: Einleitung

Romaneschreiben: einige wichtige Fachbegriffe - Juni 21, 2023 by Susanne Gavénis

Indirektes sprechendes Detail: Eine Information innerhalb eines Romantextes oder Films, die den Lesern oder Zuschauern ermöglicht, eine Figur oder Situation auf eine bestimmte Weise zu interpretieren, ohne dass diese Bedeutung dabei offen ausgesprochen wird. Wenn eine Figur beispielsweise die Fäuste ballt und mit den Zähnen knirscht, wären dies sprechende Details, die zeigen würden, dass die Figur gerade wütend ist. Noch einmal offen zu schreiben: „Peter war wütend“, wäre unnötig, weil die sprechenden Details „geballte Fäuste“ und „knirschende Zähne“ bereits deutlich gemacht haben, wie es in Peter emotional in diesem Augenblick aussieht. Sprechende Details können in vielen verschiedenen Situationen zum Einsatz kommen, z.B. bei einer Umgebungsbeschreibung („Sabine öffnete Peters Wohnungstür und riss die Augen auf. Überall auf dem Boden lagen Berge von ungewaschenen Socken, und in der Küche stapelte sich das schmutzige Geschirr. Ein übelkeiterregender Geruch hing in der Luft, und ein paar dicke Schmeißfliegen flogen brummend um Sabines Kopf herum.“ Die Beschreibung der Wohnung lässt klare Rückschlüsse darauf zu, wie es um Peters Sauberkeitsempfinden bestellt ist. Noch einmal offen zu schreiben: „Peter war ein Schwein“, wäre daher überflüssig.).

Auch Dialoge eignen sich hervorragend, um den Lesern eines Romans oder den Zuschauern eines Films mithilfe von sprechenden Details Informationen über eine Figur zu vermitteln, ohne diese offen auszusprechen (Sabine lächelte Peter an. „Ich hätte dich gerne zehn Jahre früher kennengelernt.“ Peter schüttelte den Kopf. „Du hättest mich nicht gemocht.“ – Peters Aussage wäre ein indirektes sprechendes Detail, das Sabine ebenso wie den Lesern zeigen würde, dass Peter vor zehn Jahren ein völlig anderer war, als er heute ist, und wie er sein damaliges Leben rückblickend bewertet. Oder wenn etwa Peter zu Klaus sagt: „Wenn du nicht sofort verschwindest, dann kannst du deine Zähne im Rinnstein suchen,“ wäre diese Äußerung Peters ebenfalls ein indirektes sprechendes Detail, das eine Menge über Peters momentane Gemütsverfassung und seine Absichten hinsichtlich des guten Klaus zum Ausdruck bringt, und wenn Klaus klug ist, wird er nun schleunigst das Weite suchen.).

 

Indirektheit: Wird eine Geschichte als flach oder eine Figur als langweilig empfunden, liegt dies oft an einer fehlenden Indirektheit in der Darstellung. Indirektheit wird dabei durch die Verwendung von sprechenden Details erzeugt, die eine zweite Bedeutungsebene unterhalb der offen ausformulierten Handlung einer Szene ins Spiel bringen. Eine solche zweite Bedeutungsebene bezeichnet man als den Subtext einer Szene. Da der Mensch von Geburt an gelernt hat, seine Umwelt anhand von indirekten sprechenden Details zu interpretieren und auf eine indirekte Weise mit ihr zu kommunizieren, fühlt sich eine indirekte Darstellung von Figuren in einem Roman für den Leser viel natürlicher an als eine explizit erklärende („Das dreckige Geschirr in Peters Küche zeigte Sabine, dass Peter nicht viel von Sauberkeit hielt, und das gefiel ihr nicht.“ Dies wäre die offene Darstellung. „Sabine prallte zurück, als ihr Blick auf die Berge dreckigen Geschirrs fiel, die sich in Peters Spüle stapelten, und schnappte keuchend nach Luft.“ Dies wäre die indirekte Variante, die Peters mangelndes Hygienebewusstsein und Sabines darauf bezogene Gefühle nicht erklärt, sondern für sich selbst sprechen lässt).

 

Interpretationskontext: Jedes Szenendetail einer Geschichte ist eingebettet in einen größeren Rahmen. Dieser Rahmen kann entweder die jeweilige Szene selbst sein, von der das Detail ein Teil ist, oder die Handlung der Geschichte bis zu dieser Stelle des Romans bzw. Films. Vor allem bei der Verwendung von indirekten sprechenden Details ist der Interpretationskontext von großer Bedeutung. Oft entscheidet erst die Einbettung in einen solchen Kontext, ob ein sprechendes Detail mit seiner Indirektheit seine Wirkung auf den Leser oder Zuschauer entfalten kann oder dabei scheitert. Bei dem Roman „Alles still auf einmal“ von Rhiannon Navin (dtv Verlagsgesellschaft, 2019) beispielsweise, den ich in meinem Ratgeber „Wirkungsorientiertes Schreiben“ ausführlich besprochen habe, spielt der Interpretationskontext bei der Erzeugung von Indirektheit in vielen Szenen eine zentrale Rolle. In der allerersten Szene des Romans etwa ist nur der erste Satz offen gegebene Information, alle Informationen, die danach in der Szene enthalten sind, sind indirekte sprechende Details, die aufgrund des durch den ersten Satz etablierten Kontextes von den Lesern intuitiv auf ihre Bedeutung hin interpretiert werden können. Die ersten Sätze der ersten Szene des Romans lauten: „Wenn ich mich später an den Tag erinnerte, als der Amokläufer kam, dachte ich immer zuerst an den Atem meiner Lehrerin Miss Russell. Er war heiß und roch nach Kaffee. Im Wandschrank war es dunkel, nur durch die Tür kam ein bisschen Licht herein, obwohl Miss Russell sie von innen zuhielt.“ Bereits dieser letzte Satz ist ein indirektes sprechendes Detail, das durch den Interpretationskontext der Szene (ein Amokläufer ist in der Schule) für den Leser intuitiv interpretierbar wird, ohne dass der Grund, warum die Lehrerin die Wandschranktür von innen zuhält, von der Autorin noch einmal explizit erklärt werden muss.

 

Intensivierung: Bei der Technik der Intensivierung werden bestimmte Elemente einer Szene besonders hervorgehoben, um damit ihre Wirkung auf den Leser zu verstärken („Eine gewaltige Explosion zerriss die Luft“ vs. „Peter hörte einen Knall.“ Die erste Variante wäre die intensivierte, während die zweite recht fade und vergleichsweise spannungsarm daherkommt). Intensivierung wird vor allem dann eingesetzt, wenn eine Szene starke Konflikte enthält bzw. die Bedrohlichkeit einer Situation für eine Figur besonders groß ist.

 

Kontrastierung: Eine besondere Form der Intensivierung, die erzeugt wird, indem zwei oder mehr Szenendetails unmittelbar einander gegenübergestellt werden. Dies kann sowohl auf der Ebene der Roman- und Szenenkonzeption geschehen, indem z.B. zwei vom Charakter her extrem unterschiedliche Figuren gezwungen sind, für ein gemeinsames Ziel zusammenzuarbeiten, oder bei der Darstellung einer Figur innerhalb einer Szene, um dadurch die Aufmerksamkeit des Lesers gezielt auf bestimmte Konflikte zu lenken, die gerade im Inneren der Figur stattfinden („Ich finde deine Wohnung sehr schön“, sagte Sabine, doch Peter sah, dass sie nur mit Mühe ein Würgen unterdrücken konnte, und ihre Gesichtsfarbe hatte mit einem Mal ein ungesundes Gelb angenommen.“). Die Technik der Kontrastierung eignet sich hervorragend, um auf eine prägnante Weise unterschiedliche Aspekte im Charakter einer Figur zum Ausdruck zu bringen („Ein Lächeln erschien auf seinen Lippen, doch seine Augen waren tot, wirkten so kalt wie im Weltraum gewachsene Kristalle“ oder „Ihre Lippen zitterten, und in ihren Augen schimmerten Tränen, und doch streckte sie trotzig den Rücken durch, schritt ihm so stolz entgegen wie eine Königin.“).

 

Biografisches Überzeugungs-Netzwerk: Die Überzeugungen, die jeder Mensch aufgrund seiner biografischen Erlebnisse von sich selbst, seinen Mitmenschen und seiner Beziehung zur Welt entwickelt (z.B. „Ich bin hässlich“, „Ich bin ein Gewinner“, „Man kann den Menschen nicht vertrauen“). Die persönlichen Glaubenssätze einer Roman-bzw. Filmfigur legen fest, in welchem Umfang die Figur zu einem bestimmten Zeitpunkt einer Geschichte handlungsfähig ist und was für Verhaltensmöglichkeiten ihr offenstehen (eine Figur, die von sich selbst denkt: „Niemand mag mich“, wird nicht von einem Moment zum anderen zum selbstbewussten Partylöwen werden, ebenso wie eine Figur, die überzeugt ist: „Ich bin charmant und liebenswert“, nicht plötzlich schüchtern in der Ecke stehen wird, während alle anderen feiern). Jede Geschichte, in der sich die Persönlichkeit einer Figur in eine bestimmte Richtung hin entwickeln soll, muss an den biografischen Überzeugungen dieser Figur ansetzen, um psychologisch glaubwürdig zu sein. Dies ist vor allem bei Geschichten mit einer Prämisse von zentraler Bedeutung.

 

Prämisse: Mithilfe einer Prämisse legt ein Autor fest, in welche Richtung sich die Hauptfigur seiner Geschichte entwickeln soll. Eine Prämisse besteht stets aus drei Elementen: aus einem Aspekt der Hauptfigur, der über einen Konflikt zu einem emotionalen und psychischen Endzustand der Hauptfigur hinführt, der sich von ihrem Anfangszustand deutlich unterscheidet. Eine Prämisse lässt sich in der Regel in einem einzigen Satz ausdrücken, z.B. „Eifersucht führt zur Selbstzerstörung“, „Überwinden der eigenen Angst führt zum Glück“, etc. Die Ereignisse der Geschichte erzeugen dabei den Konflikt, durch den sich die Figur Schritt für Schritt auf das vom Autor festgelegte Ziel zubewegt, und die Prämisse wurde bewiesen, wenn sie dieses Ziel am Ende des Romans oder Films erreicht hat (wenn sie sich in obigen Beispielen also durch ihre Eifersucht selbst zugrunde gerichtet oder mutig ihren Ängsten getrotzt und dadurch ihr Glück gefunden hat).

 

Innerer Plot bzw. Charakterplot: Wenn die grundlegende Konzeption einer Geschichte auf der Entwicklung ihrer Hauptfigur, d.h. auf einer Prämisse, beruht, sprechen wir von einem inneren bzw. Charakterplot. Hierbei dienen die Ereignisse und Konflikte der Geschichte primär dazu, die psychische und emotionale Wandlung des Protagonisten voranzutreiben, und sind dieser Wandlung von ihrer Bedeutung her untergeordnet.

 

Äußerer Plot bzw. Handlungsplot: Wenn die grundlegende Konzeption einer Geschichte primär auf die äußeren Geschehnisse statt auf die Entwicklung ihrer Hauptfigur ausgerichtet ist, sprechen wir von einem äußeren bzw. Handlungsplot. Der Protagonist verändert sich nur wenig oder gar nicht, während die Action oder – wie z.B. im Krimi – ein zu lösendes Rätsel im Vordergrund stehen. Prototyp eines äußeren Handlungsplots sind die Indiana Jones – und Terminatorfilme.

 

Psychologie der Romanfiguren - Juli 4, 2015 by Susanne Gavénis

Die drei Artikel zur Psychologie der Romanfiguren finden sich in erweiterter Form in meinem Schreibratgeber:

„Wirkungsorientiertes Schreiben“

 

Jeder Autor – egal wie gut er sein Schreibhandwerk auch beherrschen mag – muss vor allem eines sein: ein guter Psychologe. Hat er kein Gespür dafür, was die Menschen antreibt, welche Macht ihre Ängste und Überzeugungen über ihr Fühlen, Denken und Handeln haben, warum sie sich manchmal auf eine schon fast absurde Weise irrational verhalten und diese Irrationalität im Koordinatensystem ihrer Persönlichkeit dennoch zugleich absolut folgerichtig und sinnhaft sein kann, dann wird er niemals eine gute Geschichte schreiben können, denn die eigentliche Grundlage jeder Geschichte sind ihre Figuren. Viele Bücher über das Schreiben, die sich mit der Wahl einer funktionierenden Prämisse, einem spannenden und konflikthaften Handlungsaufbau und anderen Dingen beschäftigen, sind letztlich nichts anderes als psychologische Ratgeber, um fiktive Menschen im Rahmen einer erfundenen Geschichte in der Phantasie der Leser glaubhaft zum Leben erwachen zu lassen.

An dieser Stelle möchte ich mich mit psychologischen Themen befassen, von denen ich ebenfalls denke, dass sie für die Konzeption glaubwürdiger Figuren und ihre Darstellung in so zentralen Bereichen wie Dialogen, der Gestaltung von Szenen u.a. von Bedeutung sind. Auch wenn bereits so viel – und so viel Gutes – über die Konzeption von Romanfiguren geschrieben worden ist, dass man kaum noch etwas wirklich Neues hinzufügen kann, hoffe ich, dass meine Gedanken dennoch für den einen oder anderen beim Schreiben seiner eigenen Geschichten hilfreich sind.

Susanne Gavénis

Susanne Gavénis

Wenn Sie mehr über mich erfahren möchten, erzähle ich Ihnen gern von meinem Leben, und warum ich schreibe. Natürlich können Sie auch Kontakt mit mir aufnehmen. Vielen Dank.