Die Prophezeiung ist ohne Zweifel ein äußerst beliebtes Element in der Fantasy-Literatur. Die Art, wie sie von vielen Autoren in ihren Geschichten verwendet wird, folgt dabei oft einem ganz bestimmten Muster, das sich – auch wenn es dort letztlich keine ursächliche Prophezeiung gegeben hat – bis zu Tolkiens „Herr der Ringe“ zurückverfolgen lässt. In der Regel wird der Hauptfigur durch einen Seher, eine geheimnisvolle Schriftrolle aus uralter Zeit oder einen sonstigen kryptischen Umstand kund getan, dass allein sie vom Schicksal oder den Göttern auserkoren worden sei, das aus äonenlangem Schlummer wiedererwachte Böse endgültig niederzuringen und der Menschheit ein neues Zeitalter des Lichts zu schenken. Dummerweise ist diese finstere Bedrohung, die sich gerade anschickt, von Neuem ihre gierigen Tentakel nach den Menschen auszustrecken, nicht an der nächsten Straßenecke zu finden, sondern – wie könnte es anders sein – am anderen Ende der Welt. Was nun getan werden muss, ist klar.

Der Kern dieser Geschichten ist im Grunde weniger die Prophezeiung selbst – die lediglich den Startschuss liefert und den Helden motiviert, sich überhaupt in Bewegung zu setzen -, sondern die Reise, die der Protagonist antreten muss, um zu seinem vom Orakel geweissagten Bestimmungsort zu gelangen. Auf dieser Reise – die er oft zusammen mit einer ganzen Gruppe wagemutiger Abenteurer unternimmt – müssen viele Gefahren gemeistert werden, Überfälle von Räubern, Monstern aller Art und der Kampf gegen eine unwirtliche Natur sind an der Tagesordnung, bis der Held schließlich seiner von der Prophezeiung bereits zu Beginn festgelegten Nemesis gegenübersteht.

Bei all diesen Abenteuern und Hindernissen, die sich dem Protagonisten in den Weg stellen, bleibt die Prophezeiung als solche jedoch meist etwas Fernes und Äußerliches für ihn, das für seine Persönlichkeit nicht viel mehr Bedeutung hat als irgendeine unangenehme Aufgabe, die ihm von oben aufs Auge gedrückt wurde und die er nun mehr oder weniger Zähne knirschend abarbeiten muss. Wenn sich die Hauptfigur im Verlauf der Handlung verändert, dann geschieht dies mehr durch eine Auseinandersetzung mit den Widrigkeiten auf dem Weg zum prophezeiten Endkampf als durch die Existenz der Prophezeiung selbst, und man hat als Leser oft das Gefühl, dass die Geschichte mit einem anderen Protagonisten genauso gut funktioniert hätte und es letztlich gleichgültig war, wer nun am Ende die Prophezeiung erfüllt.

Diese Art von Geschichten hat mich nie wirklich gefesselt. Als Autor hat mich mehr die Frage fasziniert, wie es ist, wenn eine Figur eine Prophezeiung nicht bloß als lästige Pflicht empfindet, die sie in eine Reihe zwar unterhaltsamer, am Ende aber mehr oder weniger beliebiger und austauschbarer Abenteuer zwingt, sondern wenn diese Figur durch die Prophezeiung im Kern ihres gesamten Wesens verändert wird. Dieser Frage bin ich – in jeweils unterschiedlicher Ausrichtung – sowohl in „Shaans Bürde“ als auch in der „Gwailor-Chronik“ nachgegangen. Zwar wird auch Shaan und Dayin ihre Prophezeiung von einer äußeren Macht übergestülpt, ohne dass sie dabei eine Wahl oder Einflussmöglichkeiten gehabt hätten, doch geschieht dies auf eine Weise, die ihre jeweilige Persönlichkeit einer fundamentalen Veränderung unterwirft. Die Prophezeiung wird hier zu einem geradezu intimen Bestandteil ihres Charakters und ihres Lebens, der ihr gesamtes Denken, Fühlen und Handeln von Geburt an beherrscht und allen ihren Erfahrungen eine bestimmte Färbung und Signatur verleiht. Weder für Shaan, der durch die Erziehung seines verbitterten und hasserfüllten Vaters seelisch beinahe gebrochen worden ist, noch für Dayin, der bereits als Kind daran zweifelt, ob nicht ein kaltblütiger Mörder in ihm steckt, ist die Prophezeiung, die sie gefangen hält, etwas Äußeres. Sie werden gezwungen, mit ihrem gesamten Sein eine Antwort darauf zu finden, und bei beiden ist es nicht damit getan, die Prophezeiung lediglich zu erfüllen oder ihr Eintreffen zu verhindern, denn egal ob sie am Ende scheitern oder erfolgreich sind, so werden sie doch niemals wissen, was sie für ein Mensch hätten werden können, wenn es die Worte der Seherin oder den verborgenen Kampf zwischen den Mächten des Guten und des Bösen nicht gegeben hätte. Die Prophezeiungen haben sie dauerhaft und unwiderruflich traumatisiert, und mit diesen Traumatisierungen müssen sie jeden Tag aufs Neue umgehen, und das, lange bevor und nachdem sie am Ende ihrer Geschichten ihre jeweilige persönliche Begegnung mit dem Schicksal erleben.

Das ist eine Sichtweise, die mich als Autor viel mehr interessiert als unzählige Heldenreisen kreuz und quer durch die Welt, die oft tausende von Buchseiten füllen – der Blick auf das, was eine Prophezeiung in der Seele einer Figur anrichtet und was für Konsequenzen dies für ihr Leben hat, statt farbenfrohe Abenteuer, bei denen die Prophezeiung lediglich ein mehr oder weniger plausibles Alibi für den Protagonisten ist, durch die Gegend zu ziehen und dabei ordentlich auf den Putz zu hauen. Auch das kann seinen Reiz haben und Spaß machen, mein persönlicher Zugang als Autor zu diesem Thema wird jedoch immer ein anderer sein.

11.12.2014 um 09:10 von Susanne Gavénis
Kategorie: Gwailor-Chronik
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