Manchmal tappt man als Autor bei der Konzeption seiner Geschichten in Fallen, die man beim Schreiben selbst gar nicht bemerkt, die aber hinterher – wenn der Roman endlich fertig ist – eine derart gründliche Überarbeitung nötig machen, dass man das komplette Manuskript einstampfen und nahezu von vorne anfangen muss.

Diese bittere Lektion ist mir bei meiner Fantasy-Geschichte um Shouren Drachensturm, den besten Schwertkämpfer des Landes, und seinen finsteren Widersacher zuteil geworden. Auf der Suche nach einer originellen Idee, die es in dieser Form nicht schon tausende Male in der Fantasy-Literatur gegeben hat, habe ich mich in gleich zwei konzeptionelle Sackgassen hineinmanövriert, von denen eine allein bereits ausgereicht hätte, die Geschichte frontal gegen die nächste Wand zu fahren. Der erste Fehler, den ich begangen habe – wiewohl ich am Anfang sehr stolz auf meinen pfiffigen und innovativen Einfall war – war es, den Protagonisten Shouren zu einem autistischen Savant zu machen, der letztlich nur über seine perfekte Bewegungskoordination beim Schwertkampf mit seinen Mitmenschen in Kontakt zu treten vermochte. Als Folge dieses Autismus war seine Handlungsfähigkeit aber auf eine Weise eingeschränkt, die mich im Verlauf der Geschichte vor immer größere Schwierigkeiten gestellt hat. Da er selbst die meiste Zeit stumm und von den anderen Figuren isoliert in seinem inneren Schneckenhaus verbracht hat, war ich gezwungen, statt seiner die Figuren in seiner Umgebung umso mehr handeln zu lassen – mit dem Ergebnis, dass Shouren als der eigentliche Protagonist der Geschichte, der die Handlung tragen und vorantreiben sollte, merkwürdig unbeteiligt bleibt und seine Darstellung an den Stellen, wo er handeln musste, auch für mein eigenes Empfinden oft unvermittelt und wenig plausibel war.

Um das dynamische Duo zu komplettieren, habe ich bei der Konzeption von Shourens Gegenspieler tatsächlich genau den gleichen Fehler begangen, zwar aus anderen Gründen, aber mit haargenau dem gleichen Ergebnis. Mein Plan war, den König des Landes – der von allen seinen Untertanen geliebt und verehrt wird – als bösartigen Dämon zu konzipieren, der die Freundlichkeit nur vortäuscht, um auf diese Weise einen magischen Bann zu brechen, der vor Äonen auf ihn gelegt wurde. Da sein damaliger Widersacher zu schwach war, um ihn vollständig besiegen zu können, verfiel er stattdessen auf die Idee, den Ursprungskörper des Dämons in einem Keller unter dem königlichen Palast mit Hilfe eines Zauberbanns zu versiegeln, der erst dann aufgehoben werden würde, wenn es der Dämon schaffen sollte, genug Menschen dazu zu bringen, ihn zu lieben – was für seinen damaligen Kontrahenten eine absurde und unerfüllbare Bedingung zu sein schien. Doch viele Zeitalter später sieht die Sache anders aus, und der Dämon steht kurz davor, die kritische Masse an Zuneigung zusammenzuraffen. Und genau hier liegt das Problem. Durch die Natur des Bannes, der ihn fesselte, durfte der böse König nichts tun, was ihn bei den Menschen, die er in Wirklichkeit verabscheute, Sympathiepunkte gekostet hätte. Die Konsequenz war, dass er die ganze Zeit in einer Rolle gefangen war, die es ihm lediglich erlaubte, seinen – ebenso sinistren – Lakaien Anweisungen und Befehle zu erteilen, um seine finsteren Pläne voranzutreiben, während er selbst untätig in seinem Thronsaal hockte und sich in Phantasien erging, was er alles tun würde, wenn seine Ketten erst einmal gesprengt wären. Statt realer Handlungen blieb ihm nur die Möglichkeit zu imaginierten Pseudohandlungen – was, wie ich leider zugeben muss, mit der Zeit sowohl redundant als auch ermüdend geworden ist.

Das traurige Resultat war, dass ich das fertige Manuskript so heftig und umfassend überarbeiten musste wie noch keine meiner Geschichten zuvor (wobei diese Überarbeitung noch längst nicht abgeschlossen ist). Im Grunde ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Shouren ist nun kein Autist mehr, und der ganze Unsinn mit der kritischen Liebesmasse, die der böse König scheffeln muss, um den Zauberbann zu brechen, ist komplett aus der Story geflogen. Das hat der Geschichte zwar einiges an Originalität geraubt, dafür hat sie im Gegenzug aber einen Protagonisten und einen Antagonisten gewonnen, die beide endlich handeln können. Auch für Autoren gilt wohl die alte Weisheit, dass weniger manchmal mehr ist, und man nicht immer versuchen sollte, mit jeder seiner Geschichten das Rad neu zu erfinden.

16.05.2015 um 09:32 von Susanne Gavénis
Kategorie: Gedankenspiele