Seufz! Manchmal ist es ein wenig frustrierend, Geschichten zu lesen, die man nicht selbst geschrieben hat. Das eine oder andere Mal kommt es vor, dass mir ein Roman von der Grundidee her sehr gut gefällt, die Figuren sympathisch sind und sich die Handlung für meinen Lesegeschmack in die richtige Richtung entwickelt, und dann – Peng! – wird das Ganze plötzlich zu einer Geschichte, bei der mich das kalte Grausen packt und ich mir wünschte, ich selbst wäre der Autor gewesen.
So geschehen beim aktuellen Buch von Clive Barker (der ja ohnehin schwer einzuordnen ist, da er nach seiner krassen Horror-Kurzgeschichtensammlung „Die Bücher des Blutes“ auch gerne mal Kinderbücher schreibt und sich thematisch offenbar nicht wirklich auf bestimmte Genres festlegen möchte).
Hauptfigur des Romans ist ein kleiner Dämon, der in der Hölle von allen anderen Dämonen gemobbt wird, weil er sich dem ganzen fiesen Gesindel nicht wirklich zugehörig fühlt und zudem noch unter der Grausamkeit seines Vaters leiden muss – ein klassisches Underdog-Szenario, das mir immer gut gefällt, weil es eine Menge Entwicklungsmöglichkeiten für den Protagonisten gestattet. Besagter Dämon flieht irgendwann vor einem besonders brutalen Angriff seines Vaters in die Menschenwelt (das mittelalterliche Europa), nur um zu erkennen, dass alle Menschen Angst vor ihm haben und er unter den Menschen genauso ein Ausgestoßener ist wie in der Hölle (der Konflikt für den Helden verschärft sich also, er wird durch die Ereignisse auf die Probe gestellt).
Bis hierher hat mir die Geschichte gut gefallen, da es im Grunde ein Szenario ist, das meinen eigenen Roman- und Figurenkonzeptionen sehr ähnlich ist. Hätte ich die Geschichte geschrieben, würde es jetzt so weitergehen, dass der kleine Dämon auf Menschen trifft, bei denen er allmählich lernt, sich selbst zu akzeptieren und wertzuschätzen, und am Ende in der Menschenwelt einen Platz für sich findet. Das wäre durchaus konflikthaft und schwierig für den kleinen Kerl geworden, aber seine Entwicklungsrichtung wäre für mich klar gewesen.
Im Buch indes kommt unserem Helden irgendwann die Erleuchtung, dass er zum wahren Dämon werden will, und er tut dies, indem er fortan so gemein und grausam zu allen Menschen ist, wie er nur kann – was auch Mord ohne die geringste Reue mit einschließt. Schließlich wird er von Johannes Gutenbergs magischer Druckerpresse in ein Buch verbannt, in dem er voraussichtlich bis zum Sankt Nimmerleins-Tag auf seine Befreiung warten kann. Ende der Geschichte.
Das ist für mich derart unbefriedigend, dass ich das Buch am liebsten aus dem nächsten Fenster geworfen hätte, und ich habe das Gefühl, dass der Autor eine gute Grundidee und einen interessanten Hauptcharakter völlig gegen die Wand gefahren hat. Nach solchen Geschichten weiß ich immer, warum ich selbst schreibe. Dann kann ich die Geschichte so ausgehen lassen, wie es mir gefällt. Das hat zuweilen seine Vorteile.