Vor ein paar Tagen hatte ich eine interessante Diskussion mit einem meiner Probeleser. Anlass war das Staffelfinale von den „100“, das am Mittwoch Abend im Fernsehen lief. Was meinen Probeleser ebenso wie auch mich beeindruckt hat, war die Unerbittlichkeit, mit der die Figuren mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen konfrontiert worden sind. Mord, Tod und moralische Schuld wurden in keinster Weise durch irgendwelche windigen Drehbuchentscheidungen abgemildert, und die Figuren mussten durchgängig mit den Folgen ihrer Taten leben (bis hin zum Massenmord in der letzten Folge der Staffel).
Aus der Sicht eines Autors kann ich eine solche harte Gangart bei der Konzeption von Geschichten nur begrüßen, da ich mich sowohl als Leser als auch als Zuschauer schon öfters über Bücher und Filme geärgert habe, die nicht müde wurden, ihre Protagonisten in dramatische und bedrohliche Situationen zu werfen, aus denen sie eigentlich nur mit äußerster Brutalität und Härte wieder hätten entkommen können – was natürlich deutliche Spuren und Kratzer in der Psyche dieser Figuren hätte hinterlassen müssen, die vielleicht nicht immer dem stromlinienförmigen Massengeschmack entsprochen hätten, aber realistisch und psychologisch glaubwürdig gewesen wären. Stattdessen aber hat der Autor seinen Figuren immer wieder genau die glücklichen Zufälle vor die Füße fallen lassen, die es ihnen ermöglichten, sich psychologisch unversehrt und mit moralisch weißer Weste selbst aus der übelsten Klemme wieder zu befreien.
Eines der krassesten Beispiele in dieser Hinsicht ist für mich der erste „Tribute von Panem“-Film (die Bücher habe ich nicht gelesen), wo sich so gut wie alle Jugendlichen während der „Hunger Games“ bereits in den ersten paar Minuten nach Spielbeginn in skrupellose Killer verwandeln – was ja auch realistisch ist, bedenkt man, dass nur derjenige, der am Ende als Letzter überlebt, frei gelassen wird. Nur der guten Katniss gelingt es auf wundersame Weise, trotz des einen oder anderen Mords moralisch untadelig zu bleiben, da das Drehbuch jede Situation für sie immer wieder so hinbiegt, dass es ja eigentlich „gar kein richtiger Mord“ war (so wie bei den anderen Jugendlichen, die sich barbarisch abschlachten). Das näher auszuführen, würde jetzt leider zu weit führen. Verglichen mit den „100“ wirkt der erste Tribute von Panem-Film durch diese Handlungskonzeption psychologisch enorm scheinheilig auf mich, und ich freue mich über jede Geschichte, bei der der Autor den Mut hat, für die Figuren nicht nur gefährliche Situationen zu erfinden, sondern die Figuren auch entsprechend den Notwendigkeiten dieser Situationen entscheiden und handeln zu lassen – mit allen psychologischen und moralischen Konsequenzen, die damit einhergehen. Oder – um es in den Worten des Autors eines bekannten Schreibratgebers zu sagen: Der größte Feind eines Autors ist die Feigheit. Dem schließe ich mich an.