INI_Logo_kleinEs ist immer wieder interessant, Romane von Autoren zu lesen, deren Art zu schreiben zum einen völlig unterschiedlich zu meiner eigenen ist, zum anderen aber wiederum so vertraut, dass ich mich von ihrer Sichtweise durchaus inspiriert fühle. So geschehen beim ersten Band des neuen Thomas Covenant-Vierteilers von Stephen Donaldson, der den Auftakt für den mittlerweile dritten Zyklus um den an allem und jedem zweifelnden Leprakranken Covenant bildet, der aus der realen Welt in ein Fantasy-Land verschlagen wird und dort gegen den bitterbösen Lord Foul antreten muss.

Die ersten beiden Zyklen (die bereits vor über 20 Jahren erschienen sind) habe ich damals sehr gemocht, obwohl die extrem dicht an dem Innenleben der Hauptfigur orientierte Darstellung ungewohnt war und mich teilweise auch genervt hat. Gnadenlos zelebriert Donaldson die Selbstzweifel und inneren Konflikte Covenants, füllt mit seinen hin und her wogenden inneren Streitgesprächen hunderte von Seiten und lässt den Leser unerbittlich an seinem Ringen um Realität teilhaben. Dieser starke Fokus auf die Seelenqualen des Protagonisten ist meiner eigenen Sicht auf Geschichten durchaus ähnlich, obwohl Donaldson hierbei deutlich weiter geht, als ich selbst es tun würde. Vorbildlich – und deshalb für jeden Autor mit Gewinn zu lesen – ist aber auf jeden Fall, wie sehr die Handlung der Geschichte von der extremen Persönlichkeit Covenants beeinflusst und getragen wird.

Ein anderer Aspekt von Donaldsons Geschichten, den ich ebenfalls sehr interessant finde, ist seine sehr individuelle Bildersprache. Da sowohl die Figur des Thomas Covenant als auch die Handlung der einzelnen Romane deutlich um den Gegensatz zwischen Krankheit bzw. Leid und Gesundheit auf allen Ebenen konzipiert ist, spiegeln auch die gewählten Sprachbilder diesen Kontrast wider. Formulierungen wie „Unglaube verzerrte sein Gesicht wie Schmerz“, „Ihr Ton klang nach Raserei“, „Er röchelte, als ersticke er an Blut“, „Der Laut durchdrang ihn, als würde er gepfählt“, „Die Mischung aus Angst und Wut in seinem Blick schien ein Blutbad anzukündigen“ oder „Der Arm schmerzte, als wäre das Glied nur noch ein blutiger Stumpf“ (oder, um noch eins draufzusetzen: „Klauen wirbelten an ihm vorüber wie Fragmente des Wahnsinns, kreischten nach seinem Leben“) haben oft eine klare thematische Ausrichtung an dem ganzen Komplex körperliche und/oder seelische Zerrüttung und verleihen den Figuren und der Atmosphäre der Geschichte einen sehr eigenen emotionalen Touch. Auch dieser Einsatz von Metaphern und Sprachbildern ist etwas, das es, wie ich finde, für einen lesenden Autor genauer anzuschauen lohnt.

So ist die Geschichte von dem von Zweifeln zerrissenen Leprakranken Thomas Covenant sicherlich sehr geschmacksabhängig (und ich verstehe jeden, der irgendwann die Lektüre abbricht und gepeinigt ausruft: „Dieser Kerl ist mir echt zu heftig!“), andererseits kann man aber für sein eigenes Schreiben durchaus etwas lernen, wenn man die Art, wie Donaldson seine Geschichten erzählt, bewusst reflektiert. Und ein wenig Reflektieren finde ich immer ganz spannend.

23.04.2015 um 22:05 von Susanne Gavénis
Kategorie: Rund um Geschichten